Eine Ausstellung alter und zeitgenössischer Kunst im Berliner Dom

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Stimmen zur Ausstellung

Lob und nachdenkliche Worte zur Ausstellung von der Schauspielerin Eva Mattes, Anika Sendes, Senatskanzlei Berlin, und Joachim Hake, Direktor der Katholischen Akademie Berlin

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Eva Mattes lebt als Schauspielerin und Autorin in Berlin

 

„Von den einzelnen Kunstwerken, ihrer Zusammenstellung und vor allem ihrer eindrücklichen Wirkung in diesem besonderen Kirchen-Ausstellungsraum war und bin ich begeistert“
Anika Sendes, Projektleitung „Berliner Dialog der Religionen“, Senatskanzlei Berlin

 

Trost

von Joachim Hake

In den letzten Wochen habe ich sieben Mal den grey cube in der Tauf- und Traukirche des Berliner Doms besucht. Wenn ich den Raum betrete, freue ich mich an dem elfenbeinernen Christus aus dem Bamberger Dom, der einen regelmäßig begrüßt wie die blaue Neonschrift in hebräischen Schriftzügen über ihm: Du sollst Dir kein Bild machen. Der Raum und seine Artefakte scheinen zu atmen und nehmen den Besucher gastfrei auf. Einige Artefakte sind nur einige Tage zu sehen, andere halten die Stellung, sind immer oder häufiger da, wie in einer Nische an der Kopfwand eine alte Bibel, die wie eine Fächerskulptur die Seiten zum Betrachter öffnet. Von den schwarzen Augen der Muslim woman von Chester Higgins werde ich erblickt und vergesse nicht: ich, der hier schaut, ist selbst ein Gesehener und diese Einsicht stört mich nicht. Die Artefakte nehmen einen hinein in den Raum wie die Bilder von Bettina Scholz, die den Betrachter in die Tiefe ihrer Schichtungen locken oder Spiegelräume eröffnen, in denen er sich gerne aufhält.

Mit jedem Besuch wird deutlicher: in diesem Raum möchte nichts belehren, nichts bekehren und nichts illustrieren. Sehen und Gesehenwerden – gleichviel und einerlei. Hier gibt es keine Pädagogik und keine Didaktik und vor allem ist nichts von jenem verzweifelten kunstreligiösen Willen spürbar, der heute allzu oft Glaube und Kunst gleichermaßen schadet. Hier gibt es nur Werke, jedes für sich in sich ruhend und stark, die sich stets neu zu konstellieren scheinen im Rhythmus einer Liturgie, die diesen Dom am Werktag wie am Sonntag belebt. Eine befreiende Absichtslosigkeit ist spürbar in der Gleichzeitigkeit von Kunst und Liturgie. Der Raum und die Artefakte nehmen ihren Rhythmus auf, geben den liturgischen Festen eine vielgestaltige Plastizität und viele Körper. Es ist, als ob auch die Werke sich gerne und selbstverständlich unter die Menschen mischen, wie diese sich gerne hier aufhalten. Und in der Tat: Jedes Mal, wenn ich den grey cube betrete, komme ich zur Ruhe, gehe von einer Arbeit zur anderen und bleibe vor diesem oder jenem Werk stehen. Eine spätgotische Anna selbdritt im vorderen Drittel links lenkt den Blick zur Kopfwand mit der Bibel. Wie jedesmal hebt sich der Blick und das Echo eines altes Verses stellt sich ein: Et introibo ad altare Dei: ad Deum, qui laetificat iuventutem meam. (Und ich werde zum Altare Gottes treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.)

Über der Bibel links eine Madonna, außerdem Votivgaben und rechts davon immer wieder die Bahre von 1982 von Hermann Nitsch. Vorher fand sich hier auch der Sterbezyklus von Herlinde Koelbl, den ich nicht vergessen werde. Auf dem Boden Tausende in Goldfolie verpackte Bonbons, eine Installation des 1996 an den Folgen einer Aidserkrankung verstorbenen kubanischen Künstlers Félix Gonzáles-Torres. Obschon die Besucher von diesen Bonbons essen dürfen, werden sie, so hat es den Anschein nicht weniger und schenken dem Besucher eine Ahnung von österlicher Fülle wie auch die mit Wasser gefüllten Keramikvasen von Young-Jae Lee mit ihren Feuerzungen. Wie immer fällt dabei der Blick auf das Multiple von Lucio Fontana. Der Raum atmet weiterhin den Rhythmus der Liturgie und nimmt mit jeder Woche nach Ostern den Wechsel von Fülle und Vergänglichkeit, von Freude und Traurigkeit immer mehr mit hinein. Die verschiedenen Pietá-Darstellungen stören sich nicht; im Gegenteil: sie beleuchten und bereichern einander und auch sie stellen wie die Pietá von Katharina Karrenberg den Betrachter vor das Ende seiner Projektionen und die Grenzen seines Sehens. Die Traurigkeit, die sich einstellt, ist gefasst und irgendwie gottnah und eine Ahnung steigt auf über das Ausmaß unserer bornierten Sichten auf die Welt, auf Kunst und die Religion. Wie immer endet mein Gang hinten links, von wo aus ich länger in den Raum schaue, während das Gefühl von Trost in mir hoch steigt. In diesem Trost mischt sich vieles.
Ein ruhiger Atmen inmitten der Kunstwerke und der Kirche und die österlicher Freude an einer verheißenen Fülle, die sich merkwürdigerweise immer von dieser Stelle aus eröffnet, an die ich stets wie von unsichtbarer Hand geführt werde.

Joachim Hake
Direktor der Katholischen Akademie e.V. Berlin

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