
Publikation zur Ausstellung
Das liebevoll gestaltete Bilder-Lesebuch führt durch die zehn Hängungen der…
Holger Kempkens, Direktor des Diözesanmuseum Bamberg, über die wunderbare Leihgabe für unsere Ausstellung: das elfenbeinerne Kruzifix
Im Mittelpunkt der Hängung über Ostern findet sich ein aus Elfenbein und Holz gefertigter ‚Kruzifixus‘ aus dem 12. Jahrhundert, der für die Ausstellung in Berlin als eines der wesentlichen sakralen Kunstwerke erstmals den rund eintausend Jahre alten ‚Bamberger Domschatz‘ verlässt. Als Teil der Karfreitagsprozession war er in früheren Jahrhunderten im Bamberger Dom im Gebrauch. Mehrfach zerbrochen und wieder zusammengefügt, zeigt der Körper des Christus unübersehbar Spuren, die wie kaum verheilte Wunden seine rechte Seite durchziehen. Foto: Uwe Gaasch
Fast könnte man meinen, Gott hätte in dem Elfenbein-Kruzifixus eine Übertretung des mosaischen Gebotes „Du sollst Dir kein Bild machen“ gesehen, denn zweimal innerhalb von 30 Jahren ist es bei Unwettern – die früher als Zorn Gottes angesehen wurden – stark beschädigt worden: Zum ersten Mal 1515, als bei einem Gewitter ein Donnerschlag zu dem elfenbeinernen Kruzifix lief und den rechten Arm und Teile des Leibes zerschlug. Zum zweiten Mal 1542: Damals war „nichts ganntz pliben, wann (=als) die cron unnd das Facies (=Gesicht)“.
Beide Male hat man das Kruzifix sorgfältig wiederhergestellt, die beauftragten Bildhauer haben sich dabei völlig hinter den althergebrachten Formen des Kruzifixus zurückgenommen und es nicht etwa modernisiert – eine frühe Form von restauratorisch-denkmalpflegerischer Auffassung! Dieses bewusste Festhalten an den überlieferten Formen könnte damit zusammenhängen, dass man das Kreuz für eine Stiftung Kaiser Heinrichs II. (reg. 1002–1024) hielt, der 1007 das Bistum Bamberg und seinen Dom gegründet und in der Folge reicht ausgestattet hatte. Da Heinrich zudem 1146 heiliggesprochen und Bistumspatron wurde, erhielten alle seine Geschenke – auch der später als solches angesehene Elfenbein-Kruzifixus – Reliquienstatus. Dies ließ ihnen einen besonders respektvollen und bewahrenden Umgang zuteil werden. Daher dürfte das Kreuz auch nach den beiden Unwetterschäden und den anschließenden Reparaturen dennoch weitgehend dasselbe Erscheinungsbild zeigen wie zu seiner Entstehungszeit: Christus hängt mit weit ausgebreiteten Armen am (heute verlorenen) Kreuz, das bärtige Haupt mit den fast geschlossenen Augen ist würdevoll erhoben, die Füße ruhen auf dem sog. Suppedaneum, einem Fußbrett. Dies dürfte der realen Situation auf Golgotha nahekommen, denn nur so kann das Gewicht des ans Kreuz geschlagenen Körpers aufgefangen werden – unmittelbar an den Kreuzstamm genagelte Füße, gar nur mit einem Nagel, wären schlichtweg unmöglich gewesen, das Gewicht hätte die Füße aufgerissen! Doch das Wissen um die Funktion des Suppedaneums ging (da man eben schon lange keine Kreuzigungen mehr durchführte) verloren, und so wurde ab der Mitte des 13. Jahrhunderts dessen Darstellung aufgegeben. Das Elfenbein-Kruzifix aus dem Bamberger Dom stammt jedoch noch aus dem 12. Jahrhundert: Es wurde wohl um 1130/40 angefertigt.
Das Elfenbein-Kruzifix hatte immer einen besonderen Platz im Bamberger Dom – und in dessen Liturgie. So war es als Triumphkreuz auf einem steinernen Bogen im Westchor des Domes installiert. Im Spätmittelalter wurde es in der Fastenzeit, genauer gesagt am Fastnachtstag, also dem Tag vor Aschermittwoch, abgenommen und auf dem Michaelsaltar darunter zur Verehrung ausgesetzt. Am Palmsonntag hat man es dann auf Teppiche vor der Gnadenpforte, einem der beiden Hauptportale des Domes, gelegt und bei der großen Prozession dort aufgesucht. Am Karfreitag wurde es schließlich vor dem Hochaltar des Ostchores niedergelegt, um dort verehrt zu werden. In der Osternacht hat man es dann feierlich an seinen angestammten Platz zurückgetragen.
Holger Kempkens
Vor diesem Hintergrund ist es eine wunderbare Fügung, dass das Kruzifix nun genau ab Karfreitag und über Ostern in der Ausstellung „Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ im Berliner Dom zu sehen ist! Dort wird es nicht nur das älteste Kunstwerk sein, sondern auch eines, das ein in Jahrhunderten überliefertes Gottesbild veranschaulicht: Trotz des Leidens und Opfertodes am Kreuz, trotz der Erniedrigung, den der Kreuzestod darstellt, strahlt Christus hier eine besondere Würde aus, ja, durch das Elfenbein erscheint er geradezu erhaben! Zudem sind die Wundmale fast völlig zurückgenommen, es fehlt etwa die Seitenwunde, nur die Nagelwunden der Hände sind vorhanden! In der menschgewordenen Gestalt Jesu Christi, wie sie auch das Elfenbein-Kruzifix wiederspiegelt, ist Gott, so die Auffassung seit dem frühen Christentum, durchaus darstellbar! Von daher werden es doch nur Unwetter und nicht der Zorn Gottes gewesen sein, die dem Kruzifix vor 500 Jahren so zugesetzt haben …
– Holger Kempkens, April 2015
‚Kruzifixus‘ aus dem 12. Jahrhundert, der für die Ausstellung in Berlin als eines der wesentlichen sakralen Kunstwerke erstmals den rund eintausend Jahre alten ‚Bamberger Domschatz‘ verlässt. Als Teil der Karfreitagsprozession war er in früheren Jahrhunderten im Bamberger Dom im Gebrauch. Mehrfach zerbrochen und wieder zusammengefügt, zeigt der Körper des Christus unübersehbar Spuren, die wie kaum verheilte Wunden seine rechte Seite durchziehen. Foto: Uwe Gaasch
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