Eine Ausstellung alter und zeitgenössischer Kunst im Berliner Dom

Menu & Search

Predigt Pfingstmontag

Predigt über Johannes 4, 19-26 und zwei Gemälde von Bettina Scholz und Stefan Sehler von Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann

o.t. 2011 205cm x155cm acryl, lack, öl hinter plexiglas

Stefan Sehler, o.t., 2011, 205cm x 155cm, Acryl, Lack, Öl hinter Plexiglas, Courtesy Stefan Sehler © Stefan Sehler

 

Komm, heiliger Geist.
Komm, wahres Licht.
Komm,
verborgenes Mysterium…
Komm,
gänzlich unanschaubar,
unberührbar, unantastbar.
Komm, Freude ohne Ende.

 

Liebe Gemeinde, so hat Symeon, Theologe und Mystiker aus dem 10. Jahrhundert, den Geist angerufen. Dieser Geist, unfassbar, unanschaubar, unberechenbar. Jeden kann er ergreifen, durchschütteln, animieren. Die Taube ist sein Symbol. Und doch scheint die Taube allein zu harmlos zu sein, um sein Wirken zu erfassen. Feuerzungen und Sturmbrausen, so erzählt der Evangelist Lukas, haben sich der Menschen bemächtigt. Der Geist wirbelt die Dinge durcheinander, kehrt das Unterste zuoberst und schafft neue Verbindungen. Er macht Verdorrtes lebendig und sprengt Versteinertes auf. Er ist der Geist, der über den Wassern der Urflut schwebte, als noch nichts war. Ein Hauch, ein Atem, der uns ins Leben rief. Schöpferische Kraft. Inspriration.
Schreiben Sie was über Inspiration, wurde der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann aufgefordert. Und er erzählt von Samuel Beckett.1 Der Dramatiker soll zehn Jahre auf dem Sofa gelegen und eine neue Dramaturgie gesucht haben. Sein geduldiges Warten wurde belohnt. Eines Tages fiel ihm Warten auf Godot ein. Als dieses Stück das Theater eroberte, hat man versucht, Becketts Inspiration nachzuzeichnen. Und tatsächlich ließen sich einzelne Bestandteile benennen. Das Sofa, das irische Variete, das er als Kind so liebte, und seine Bewunderung für Shakespeare. Kurz, in Becketts Geist trafen die verschiedensten Dinge zusammen, sein eigenes – oft quälendes – Warten, seine Kindheitserinnerungen, sein literarisches und theologisches Wissen. Und aus der Verbindung all dieser bislang unverbundenen Gedanken entstand Neues. Warten auf Godot, ein Jahrhundertstück. Inspiration ist nach Thomas Hürlimann also das Zusammenfallen von bislang Unverbundenem. Eine neue Verbindung in Raum und Zeit.
In der Tauf- und Traukirche ist zu Pfingsten eine neue Szene aus Kunstwerken entstanden. Darunter ein weiteres Bild des zeitgenössischen Künstlers Stefan Sehler. Eine Hinterglasmalerei in Goldtönen. Amorphe Strukturen mit Gold überzogen. Oder wie eine Maserung, oder als hätte man Gold über Erde gestrichen. Die Augen wandern darüber. Man kann sich gleichsam hineinversenken in diese schimmernde Landschaft, die ein Geheimnis zu verbergen scheint. Ein Versprechen dazu. In der Mittelalterlichen Malerei war der goldene Hintergrund einer Szene Zeichen dafür, dass es hier um das Göttliche geht, um Transzendenz. Bei Stefan Sehler aber ist das Gold kein Hintergrund für etwas anderes, sondern ist Materialität, Struktur, Farbe. Und dennoch: Oh, ein neues Altarbild! rief ein Gemeindeglied überrascht aus, als ich mit ihm den Raum betrat. Dasselbe Bild in einem Museum hätte wohl kaum diese Überraschung ausgelöst. Womöglich wäre auch der Künstler selbst verblüfft, wenn er das hörte. Aber nun hängt das Bild in unserer Kirche, dort, wo sich hinter der Wand der Altar versteckt. Und wir sehen das Gold hier wie dort. Eine neue Verknüpfung geschieht. Eine neue Verortung in Raum und Zeit, in einer alten Erinnerung und in einer Verheißung. Inspirierend ist das.
Inspiratio, das Eingießen des Geistes feiern wir zu Pfingsten. Feuerflammen und Sturmböen wirbeln. Aber es kommt mehr dazu als gestaltloser Gotteshauch. Eine Geschichte. Ein Mensch. Und wir selbst mit unseren Lebensgeschichten.
Hören wir auf den Predigttext. Er steht im Evangelium nach Johannes.
19 Die Frau spricht zu Jesus: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. 20Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. 21Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. 23Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. 24Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 25Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. 26Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet.
Eine Frau spricht. Namenlos, und doch erfahren wir aus dem Zusammenhang der Geschichte einiges über sie. Sie ist Samaritanerin. Somit Angehörige einer anderen Konfession. In den Augen mancher eine Sekte. Ihr heiliger Ort ist nicht der Tempel in Jerusalem, sondern der Berg Garizim. Es ist Mittagszeit am Jakobsbrunnen. Größte Hitze. Dort treffen die beiden aufeinander. Und Jesus bittet sie, ihm Wasser zu geben. Ein Tabubruch. Er, der Mann, spricht sie, die Frau an. Er, der Jude, bittet sie, die Samaritanerin um Wasser. Wir können kaum noch verstehen wie unerhört diese Begegnung ist. Das macht man nicht, hört man es aus stummen Mündern schreien. Den Mündern der Religions- und Sittenwächter, den Mündern der Ordnungshüter und Rechtschaffenen, der Hüter der Grenzen und Konventionen. Das macht man nicht. Jesus schert sich nicht darum, was man so macht. Im Gegenteil, es bleibt nicht bei der Bitte um Wasser. Während das Wasser fließt, kommt auch das Gespräch in Fluss. Er spricht mit ihr über ihre Lebensgeschichte. Sagt ihr auf den Kopf zu, was ihr Schmerz ist. Ihre Wunde. Fünf Männer haben dich verlassen, und der, mit dem du jetzt lebst, verweigert dir die Ehe. Verweigert dir Sicherheit und Ansehen. Und die Frau weiß sich gesehen. Nicht so, als läge der Blick eines Richters auf ihr, nicht bewertet oder verurteilt. Sie fühlt sich gesehen mit ihrer Geschichte, mit ihrem Schmerz, mit all dem, was ihr Leben verdunkelt. Sie weiß sich gesehen wie sie ist. Und dennoch nicht entblößt, sondern in diesem Blick gut aufgehoben.

 

Wir leben von solchen Momenten. Es ist ein Moment, in dem man dem anderen wirklich zeigen kann, was ist. Wer man ist. Der Moment, in dem ich meine Masken ablege. Aufhöre, mich zu verstecken. Der Moment, in dem ich nicht mehr besser sein muss als ich bin. Nicht heiler, nicht größer oder souveräner. Ich teile die Erinnerung an meine Geschichte, auch dort, wo sie schmerzlich ist, wo sie mein Leben beschädigt hat. Das ist ein Moment, wo sich das Leben entsichert. Ein Moment großer Nähe. Vertrauen. Wahre Kommunikation vom Ich zum Du. Ein Moment wie ein Geschenk. Nicht zu machen, nicht herzustellen. Geistesgegenwart.

 

Mit der Antwort der Frau setzt unser Text ein: „Ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ Und das sagt die Samaritanerin, Angehörige einer Glaubensgemeinschaft, die die Propheten nie anerkannt haben. Bei denen nach Mose niemand mehr gekommen ist, der diesen Titel tragen durfte. Und dann dies. Ich sehe, dass du ein Prophet bist. Einer der tiefer schaut. Einer, der in der Wahrheit ist. Und jetzt will sie mehr wissen, will tiefer graben. Sag, „Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.“ Du, der du so viel von meiner Wahrheit siehst, sag mir mehr. Sag mir, wo ich anbeten soll, sag mir, wo die letzte Wahrheit ist. Und Jesu Antwort: weder hier noch dort. … „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“

 

Gott ist Geist. Sein Wesen und Wirken ist Geist. Der Geist, der am Anfang über der Urflut brütete. Die Erde war wüst und leer, aber dennoch nicht von Gott verlassen. Die Psalmen singen von dem Geist Gottes, der die Menschen erschafft und das Angesicht der Erde neu macht. Der Geist Gottes ergreift Menschen und macht sie zu Propheten. Und einer von ihnen, Joel, kündigt eine Zeit an, in der der Geist Gottes über Junge und Alte ausgegossen wird. Traumzeit wird sein. Zeit der Inspiration.

 

Dem goldenen Bild von Stefan Sehler gegenüber hängt ein Bild der Künstlerin Bettina Scholz. Auch dieses eine Hinterglasmalerei. Die vorherrschende Farbe ist Dunkelblau. Doch wo man auf Sehlers Goldbild wie auf einer Landschaft mit den Augen spazieren gehen kann, scheine ich in das Bild von Bettina Scholz wie hineingezogen zu werden – in einen tiefen Bildraum. Wie Wolkenfetzen verteilen sich Farbspiele auf der Fläche. Oder der Geist über der Urflut? In der Mitte eine kreisrunde Lichtscheibe, ist es eine Öffnung in den Raum dahinter? Ist es ein Licht, das auf mich zukommt? Himmelslicht aus einer anderen Welt? Man möchte geradezu in das Bild hineinsteigen, um die Räume, die dahinter liegende Wahrheit zu erkunden. Ich trete vor dem Bild hierhin und dorthin, und entdecke auf der spiegelnden Glasoberfläche plötzlich den Bamberger Christus, der wie im Raum zu schweben scheint, entdecke die hebräische Neonschrift, du sollst dir kein Bild machen. Sehe, wie sich der Goldgrund des gegenüber liegenden Bildes darin spiegelt. Entdecke in der Szene – mich selbst. Mein Gesicht. Mit mir selbst scheint das zu tun zu haben. Die Tiefe des Raums. Goldgrund und Himmelslicht.

 

Die Samaritanerin geht im Gespräch noch einen Schritt weiter. Sie spürt, dass Jesus von einer anderen Wirklichkeit redet, einer Wirklichkeit, die ihr noch ganz fern und entzogen erscheint. Aber wenn der Messias kommt, sagt sie, dann, dann werden die offenen Fragen beantwortet, dann werden die Trennungen überwunden, dann kann die Welt heil werden. Da spricht Jesus zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet. Das, was du erwartest, ist schon jetzt da. Ist Gegenwart. Ist Konkret. Hat Gesicht. Mein Gesicht. Hat eine Geschichte. Meine Geschichte. Was du von der Zukunft erwartest, ist jetzt schon da. Was du dir als Erlösung erhoffst, geschieht schon jetzt. Meine Geschichte verbindet sich mit deiner, wirkt in deine Geschichte hinein. Neues kann beginnen. Eine neue Schöpfung im Geist.

Liebe Gemeinde, mich fasziniert an dieser Geschichte des Johannes, wie sich das Gespräch über das Leben der Frau und das Gespräch über die wahre Anbetung miteinander verschränken. Das Gespräch über Religion ist kein Fluchtweg aus der persönlichen Geschichte, sondern es führt vielmehr auf die existentielle Spur des eigenen Lebens. Es ist wie eine neue Geburt.

Das Gespräch mit der Frau bricht an dieser Stelle ab. Vordergründig deshalb, weil die Jünger aus der Stadt zurück kehren und sich verwundert zeigen, dass Jesus mit einer Frau spricht. Die Frau ihrerseits eilt in die Stadt zurück und erzählt alles, was sie erlebt hat. Und am Ende der Episode wird berichtet, wie „viele zum Glauben gekommen“ seien. Aus der verunsicherten, geächteten Frau wird die Gründerin einer Gemeinde.

 

Der Geist weht wo er will. Er ist wie ein Wanderer, der über die Erde geht, er verwickelt die Geschichten von Menschen mit der Geschichte Gottes. Schafft neue Konstellationen, bringt bislang Zerstreutes auf ungeahnte Weise miteinander in Verbindung. Wo der Geist Gottes unterwegs ist, da blühen ungewohnte Gedanken. Da kann ich raustreten aus den Beklemmungen meines Lebens. Lass mich nicht mehr festlegen auf das, was ich meine, zu sein. Lass mich nicht mehr bannen von meinen schmerzlichen Erfahrungen, versuche neue Schritte, versuche ein neues Leben.

Johann Sebastians Bachs Kantate, die wir gleich hören werden, macht aus den „neuen Schritten“ Tanzschritte. Festlich beschwingt bringt schon der Eingangschor das müde Herz in Bewegung. In den großen Chorsätzen wie in den intimen Teilen der Solo-Arie ist der Ton freudig und strahlend. Fast drängend fleht die Musik: Komm, komm, mein Herze steht dir offen. In scheinbar endlos langen 16tel-Noten wird die ewige Freude in Musik verwandelt. Da mag die Hölle toben, da mag das Rasseln ihrer Ketten hörbar werden, da mag der Zweifel sich immer wieder zu Wort melden, die Freude wird doch den Ton bestimmen.

Hier gilt gar nichts als Lieb und Gnad,
Die Christus uns verdienet hat.
Und wer den Schlußchoral hört, erkennt vielleicht die Melodie wieder: Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn, all, die ihr seid beschweret nun, ich will euch geben, was ich hab, will heilen euren Schaden.
Und was sollen wir darauf antworten außer, dass wir unser Amen dazu sprechen. So möge es sei. Amen.

Related article
Letzte Hängung der Ausstellung

Letzte Hängung der Ausstellung

Am 1. März hatte das ambitionierte Projekt begonnen: Die gesamte…

Interview mit Ruprecht von Kaufmann

Interview mit Ruprecht von Kaufmann

Ruprecht von Kaufmann über seine Arbeit „Die Unerträgliche Leichtigkeit des…

Neue Ausstellungsansichten

Neue Ausstellungsansichten

Wunderbare Ausstellungsansichten der aktuellen Hängung von Marcus Schneider  

Type your search keyword, and press enter to search