Eine Ausstellung alter und zeitgenössischer Kunst im Berliner Dom

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BUCHSTABENGESPIEGELT INEINERMADONNA

Notiz von A.S. Bruckstein Çoruh zur Ausstellung

Wer in diesen Tagen den Berliner Dom betritt, den überrascht zur rechten Hand ein dunkel-samt-ochsenblut-farbiges Tor, ein museal anmutender Eingang zum Raum der Tauf- und Traukirche, sonst reich geschmückt, jetzt Kunstraum – an das Kölner Kolumba Museum erinnernd – elegant, minimalistisch, mit einigen wenigen, traumwandlerisch sicher gehängten Kunstwerken in wechselnden Konstellationen und starken, suggestiven Blickachsen, die immer wieder Neues eröffnen. Durch das ochsenblut-seiden-farbige Tor hindurch gibt sich ein Neon-farbiges lila Schriftband zu erkennen – in hebräischen Lettern – in rechtsbündiger Leuchtschrift geschrieben – „lo ta’asseh lecha pessel vechol temunah“ – „du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild“ in der Übersetzung von Leopold Zunz (Ex. 20,4). Sobald die Besucherin näher tritt, bemerkt sie etwas Absonderliches: Da steht: „lo ta’asseh lecha“ – „du sollt dir kein […] machen“ und danach, in einem Schwung, fast ohne Markierung der Zwischenräume-Wort-Anfänge-und-Enden: „pesselvecholtemunah“. Also in Deutsch etwa: Du sollst dir kein bildmachenkeinabbild. Unter dem Schriftband – – nichts. Jetzt, zur zweiten Szene der Ausstellung — doch etwas: eine Nische in Körperhöhe, (noch) leer.

Warum eine solche Absonderlichkeit? „Du sollst dir kein BILDMACHENKEINABBILD“?
Die lila-farbige Neonschrift hat es in sich: Die Vokale stehen nicht da, natürlich nicht, denn das Hebräische – wie auch das Arabische, Persische, Osmanisch-Türkische – ist eine lapidare alte Konsonantenschrift. Die Vokale müssen mit der Stimme, dem (hebräisch) ruach – dem Atem, der den Konsonanten die Seele gibt – erst hinzugefügt werden – durch Singen, Rezitieren, Sagen. Deswegen hat die lila-farbige Neonschrift auch keine Vokale. So weit, so gut. Aber Du sollst dir kein bildmachenkeinabbild? „pesselvecholtemunah“ – die drei letzten Worte dieses hebräischen Satzes in einem Schwung? Warum so eine Absonderlichkeit?

Sicherlich, es könnte ein Versehen sein. Ein Kurator, der des Hebräischen nicht mächtig ist. Dies ist aber eine langweilige Lesart eines Kunstwerks, das durch ein dunkel-samt-ochsenblut-farbiges Tor von Weitem leuchtet und erkennbar ist, und in dieser Ausstellung weder geht noch kommt. Das Kunstwerk sagt etwas anderes, so wie die alte Hebräische Schrift auch, ja sogar ganz genau so wie diese: Worte und Kunstwerke, Buchstaben, Bilder und Zeichen sind nicht dazu da, sich auf Eindeutigkeiten festlegen zu lassen. Die alte Hebräische Schrift – die Papyrus Rolle – jene Schriftrolle, die in der Synagoge seit alters her wochenrhythmisch öffentlich rezitiert wird, hat genau dieselbe Absonderlichkeit. Sie wäre zu diesem heiligen Zweck der seriellen Rezitation gar nicht zu gebrauchen, wenn auch nur ein einziger, winzig kleiner Vokale in ihre Buchstabenreihen eingetragen würde. Sie schreibt die Worte manchmal zusammen, manchmal auseinander, manchmal in einem einzigen Buchstabenschwung, ohne Rücksicht auf Trennung und daher ohne Rücksicht auf Lesbarkeit. Eine einzige Buchstabenkette sei es gewesen, die Offenbarung der Tora, sagen die Rabbinen – und was meinen sie damit?

Hier das Photo der Besucherin. Buchstaben gespiegelt in einer Madonna

Hier das Foto der Besucherin. Buchstaben gespiegelt in einer Madonna, Foto: © A.S. Bruckstein Çoruh

Sie meinen damit: DU SOLLST DIR KEINBILDNISMACHENKEINABBILD – das meinen sie damit – nicht schon wissen, was dasteht, keine Eindeutigkeiten lesen, keine Übersetzungen heilig sprechen, vom Nichts des Wissens ausgehen, Myriaden und Abermyriaden von Lesarten offen lassen, dem Text eine unendliche Zukunft schenken, – und wie? Indem wir die Buchstaben selber wie Bilder lesen, unendlich offene Körper, Schleier des Nichts, materielle Gewänder für das Licht der Schöpfung, ohne feste Lesbarkeit, offen in alle Richtungen, ohne Urtext, ohne Anfang und Ende, —– so die Auslegungen der kabbalistischen Gelehrten des 13. Jahrhundert, lesen Sie, lesen Sie die zeitgenössischen Gelehrten der jüdischen Mystik, lesen Sie Elliot R. Wolfsons „Sprache, Eros, Dasein“, legen Sie die vergessenen Quellen der Unbestimmtheiten des Schriftbilds frei, sehen Sie die Buchstabenreihung heiliger Texte als eine écriture automatique an, hochsubjektiv zu lesen und doch traumwandlerisch präzise. Ja, das muss so sein: gerade die letzten drei Worte dieses lila Neon-farbigen Schriftbands müssen undeutlich verschwommen und kaum zu trennen sein: pesselvecholtemunah – keinbildundkeinabbild.
Verrücktundver-rückt, dass sich dieses Neon-farbige Leuchtband in der ersten Szene der Ausstellung dann auch noch in der Madonna von Anna Selbdritt (um 1390–1410) spiegelt, „wie in einem Spiegel“ rückwärts gespiegelt – wie in einem dunkeln Wort – hanumetlohcevlessep│pesselvecholtemunah – aus der Mitte des Satzes rückwärts gespiegelt, wie in einer Bach’schen Fuge. Ja, so muss die Schrift sein, so sagen die Rabbinen: sie muss unendlich gespiegelt werden, bis sie Myriaden und Abermyriaden von Formen annimmt, Buchstaben gedreht und gespiegelt wie die Bilder einer Ausstellung.

Text:  © A.S. Bruckstein Çoruh, 10.03.2015

A.S. Bruckstein Çoruh, Gründerin von Taswir projects, internationale Plattform für diasporische Denkformen und künstlerische Forschung. Philosophin, Kuratorin internationaler Ausstellungen, Architektin des House of Taswir und des taswir atlas. Inhaberin zahlreicher Stiftungsprofessuren, u.a. Rudolf-Arnheim Professorin an der Humboldt Universität zu Berlin. Langjährige Dozentin für jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Autorin des House of Taswir. Doing and Undoing Things, und von Vom Aufstand der Bilder, München: W. Fink Verlag, 2014.

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