Eine Ausstellung alter und zeitgenössischer Kunst im Berliner Dom

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Predigten von Gründonnerstag und Ostersonntag

02.04.2015 Gründonnerstag
Predigt zu 1. Kor 11, 23-36
Berliner Dom
Domprediger Thomas C. Müller

„Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“

Liebe Gemeinde,

Erstes Bild:
Ein Saal, gedeckte Tische. Kaffee und Streuselkuchen. Schnittchen. Gleich werden die Angehörigen nach der Trauerfeier zum Beerdigungskaffee eintreffen. Sie werden sich hinsetzen, erst noch stumm. Dann greifen alle zu. Die Spannung wird sich etwas lösen. Vielleicht ergreift noch einmal jemand das Wort. Erinnert sich an den Verstorbenen. Erinnert an den, der sich hier alle zusammen geführt hat. Ein Saal, gedeckte Tische. Ein stilles Bild von Normalität und Alltäglichkeit, aber in ihm verborgen die Wunde des Todes, der Abgrund der Abwesenheit. Einer sitzt nicht am Tisch. Niemals mehr.

Mat Collishaw The Last Meal on Death Row, Texas (Chester Wicker), 2011 c-prints auf Leinwand 64,8 x 47,5cm Courtesy Blain Southern Berlin und SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin © Mat Collishaw und VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Mat Collishaw
The Last Meal on Death Row, Texas (Chester Wicker), 2011
c-prints auf Leinwand
64,8 x 47,5cm
Courtesy Blain Southern Berlin und SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin
© Mat Collishaw und VG Bild-Kunst, Bonn 2015

„Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn.“
Zweites Bild: Auf einem Silberteller grüner Salat und Tomaten. Ein Ölgemälde, ein Stillleben im klassischen, realistischen Stil. „The last meal on Death Row.“ Eine Schwarz-Weiß-Abbildung des Gemäldes finden wir auf der 2. Seite des Gottesdienstprogrammes. Der Maler des Bildes, Mat Collishaw, provoziert uns mit Darstellung einer Henkersmahlzeit. Chester Wicker ermordete eine 22-jährige Frau. Vor seiner Hinrichtung äußert er einen letzten Wunsch, der ihm auch gewährt wird. Er wünscht sich einen Salat und Tomaten als letzte Mahlzeit. Auf dem Original des Bildes tritt das Grün behutsam aus dem dunklen Hintergrund hervor, das Rot sticht besonders ins Auge. Es steht in starkem Kontrast zu dem dunklen Hintergrund des Bildes. Auf den ersten Blick ein stilles Bild, auf den zweiten Blick ein Bild, das Extreme darstellt, ohne dass sie abgebildet werden: Das mörderische Verbrechen, das Warten des Mörders auf die Hinrichtung. Sein Wunsch nach Lebendigem, nach frischem Salat und der bizarre Widerspruch dieses Wunsches zu seiner Mordtat. Ohne das irgendeine Person dargestellt wird, können wir vor unserem inneren Auge all diejenigen dazustellen, die zu dieser Szene gehören: der Mörder, mit seinem Wunsch nach Leben, sein Opfer, das abgeschnitten wurde vom Leben, die traurigen und hasserfüllten Angehörigen der Opfer, die Richter, die Henker.
„Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn.“
Auf dem Altar stehen Brot und Wein. Mit einem Mal alles gegenwärtig. Der Saal, in dem Jesus und die Jünger sind. Der Abend des Passafestes. Die Erinnerung an all die vielen Gastmähler an seiner Seite, in vielen ganz unterschiedlichen Häusern. Der Streit mit Gegnern, die Menschen, deren Gesichter Hoffnung und Zweifel, Verwunderung und Interesse spiegelten. Die Gespräche über das, was es bedeutet, dass Gott liebt. Die Angst der Jünger in diesen letzten Stunden. Die Gemeinschaft, die sich jetzt aufzulösen beginnt. Der Verräter, der mit am Tisch sitzt. Und die letzten Worte Jesu. Sein Erbe. Sein Testament. Bald wird er nicht mehr unter ihnen sein. Brot und Wein – ein einfaches Bild. Wofür steht es?
„Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn.“
Brot und Kelch stehen auf dem Altar. Nur zwei Gegenstände vergegenwärtigen eine Situation der Vergangenheit. Am Gründonnerstag kommen wir zusammen und erinnern uns an einen, der gestorben ist. Wir erinnern uns an das letzte Mahl Jesu. Und indem wir das tun, was Jesus und die Jünger damals taten, das Brot miteinander teilen und den Kelch, verkündigen wir den Tod des Herrn. Es ist eine seltsame Formulierung: „verkünden wir den Tod des Herrn.“ Wir geben kund, dass einer gestorben ist. So krass der Unterschied zu den beiden anderen aufgerufenen Bildern ist, darin verbinden sie sich. Wir markieren die Lücke, die Abwesenheit, den leeren Raum, der dadurch entsteht, dass einer nicht da ist. Die Henkersmahlzeit des Chester Wicker stellt uns schmerzhaft die Abwesenheit eines gelingenden Lebens vor Augen. Der gedeckte Tisch beim Beerdigungskaffe – die Abwesenheit eines geliebten Menschen. Brot und Wein – verkündigen den Tod Jesu. Das Scheitern der Hoffnungen. Den Schmerz des Abschiedes. Die Leiden der Hinrichtung.
Es sind drei kleine Worte, die den Unterschied ausmachen und die das ganze Bild in ein ganz anderes Licht tauchen. Drei kleine Worte, die alles verändern. Die aus Scheitern ein Loslassen machen, dass tiefer blickt und um den weiß, der auffängt. Aus Abschiednehmen ein Ausblick. Aus sinnlosem Leiden Hingabe für alle. Sie machen aus dem Teilen von Brot und Wein ein Sakrament. Sie beschreiben ein Feld, das die Grenzen dieser Welt überschreitet. Es sind drei Worte, die einem eine Gänsehaut machen können, wenn man wirklich hört, was sie sagen. Es sind die Worte: „bis er kommt.“ „… verkünden wir den Tod des Herrn, bis er kommt.“

Was mag das wohl heißen: „bis er kommt“? Was für ein Bild müsste man mahlen, um das auszudrücken? Vielleicht wäre es gar kein anderes Bild. Immer noch ständen Brot und Wein auf einem Tisch. Aber diesmal nicht gesehen als Gegenstände, die einmal aus der Hand gelegt wurden und so auf etwas hinweisen, was vergangen ist, sondern als Gegenstände, die einmal von neuem ergriffen werden. Die Gegenstände, die für die Abwesenheit und die Erinnerung an Vergangenes stehen, werden zu Platzhalter für etwas, was wir nicht sehen, denken und darstellen können, aber die Lücke freihalten, für etwas, was sein wird.
„Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“
Wenn wir gleich das Abendmahl miteinander feiern, dann verbinden wir uns mit der Erinnerung an einen Toten, aber auch mit der Hoffnung, dass er als der Lebendige einmal die Lücke zwischen uns betreten wird und wir um ihn herum ist schon beieinander bleiben können.
Denn auf dem Bild, auf dem Brot und Wein zu sehen sind, dürfen wir auch uns selbst dazu denken. Nicht nur Jesus, nicht nur die Jünger. Dieses Bild von Brot und Wein ist ein Zukunftsbild, in das wir uns mit hineinglauben können. In dem wir das Brot essen und den Kelch teilen, werden wir Teil einer Geschichte, die weitergeht.
Jeder von uns trägt eine solche Geschichte mit diesem abwesend Anwesenden in sich, und sei es auch noch so winzige und unvollständige, abgebrochene Geschichte. Jeder von uns hat eine leere Stelle in sich, die nur ER ausfüllen kann.

„Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“
Seine Geschichte mit uns ist nicht zu Ende ist, sondern führt uns weiter, hinaus, weit hinaus.
Amen.

 

05.04.2015 Ostersonntag 18 Uhr
Berliner Dom
Domprediger Thomas C. Müller
Predigt über 1. Korinther 15, 1-11

„Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,
durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.
Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.

Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene: so predigen wir und so habt ihr geglaubt.“

Liebe Gemeinde,

in der Mitte des Bildes schraubt sich eine Lichtsäule in die Höhe. Mitten darin Menschen. Manche stehen noch unten und blicken hinauf, andere schweben schon nach oben. Ihre Gesichter drücken Überraschung, Erschrecken oder Entzücken aus. Eine dramatische Szene, die die Grenzen dieser Welt sprengt. „Auferstehung“ heißt das vom expressionistische Maler Max Beckmann 1908 gemalte Ölbild. Eine Vorstudie zu diesem Bild ist in unserer Ausstellung „Du sollst Dir k()ein Bild machen“ in der Tauf- und Traukirche zu sehen. Beide Bilder sind auf der zweiten Seite des Liedprogrammes abgebildet. Im harten Kontrast zu diesem überweltlichen Lichtereignis stehen die Personen am unteren Bildrand. Max Beckmann hat Menschen, die er kannte, in das Bild eingefügt: einen Freund, seine Frau, ihre Mutter. Sie sind in Abendgarderobe gekleidet, in Smoking und Abendkleid. Eine schaut nach oben, eine nachdenklich nach unten. Max Beckmann hat sich auch selbst in das Bild hineingemalt. Er steht am äußersten linken Bildrand, schaut fast desinteressiert zur Seite und hält eine Zigarette in der Hand. Das dramatische Geschehen der Auferstehung der Toten und die abgeklärte Gegenwartsdarstellung – diese Gegenüber drückt etwas von dem Zwiespalt aus, der uns bis heute beschäftigt. Wir feiern Ostern, die Auferstehung Jesu. Wir rufen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ Wir feiern in diesem Gottesdienst ein Ereignis, das in jeder Hinsicht den Rahmen sprengt. Und gleichzeitig sind wir moderne Menschen. Wir leben als Realisten. Der Rahmen, in dem wir leben, ist die Spanne zwischen Geburt und Tod.

Max Beckmann Auferstehung (Entwurf), 1907 Ölskizze 89 x 67,5 cm Courtesy Privatsammlung © Max Beckmann und VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Max Beckmann
Auferstehung (Entwurf), 1907
Ölskizze
89 x 67,5 cm
Courtesy Privatsammlung
© Max Beckmann und VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Max Beckmann steht als Mensch in seiner Zeit am Rande des Auferstehungsgeschehens. Welche Haltung nehmen wir ein zu dem, was wir hier feiern. Hören wir fasziniert vom dem Leben, das den Tod überwand? Oder stehen wir zweifelnd davor, unschlüssig?
„Ich erinnere Euch an das Evangelium, dass ich Euch verkündet habe“, schreibt Apostel Paulus an die korinthischen Christen. Auch er hat in dieser Gemeinde mit einer zunehmenden Skepsis gegenüber dem Glauben an die Auferstehung Jesu zu kämpfen. Man merkt der Leidenschaft seiner Argumentation an, wie wichtig ihm dieser Punkt ist. Er versucht aus Menschen, die daneben stehen, Menschen zu machen, die sich mit hinein nehmen lassen in diesen Strom des Lichts, der zum Leben führt.

Er schreibt:
„Denn als erstes habe ich Euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift, dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den zwölf.“
Liebe Gemeinde, wir glauben an die Gesetzmäßigkeit der Welt und des Lebens. Wir benutzten Kühlschränke, Computer und Handys. Sie sind kein Hexenwerk, sondern das Ergebnis von Rationalität und Wissenschaft. All das prägt unser Denken. Wir wissen: Wasser fließt nach unten. Ein Stein fällt zu Boden. Dinge enden. Der Mensch stirbt. Der skeptische Realist in mir sagt: „Das ist das einzige, was zählt. Zuletzt verschwindet alles im schwarzen Loch. Du kannst dich jetzt noch so abstrampeln und aufbäumen. Alles wieder niedergelegt, verklingt, alles ist nur ein kurzes Zucken vor dem endgültigen Schweigen. Vergiss Sinn und Bedeutung. Vergiss die höheren Werte, nimm, was du kriegen kannst.“ Aber es gibt diese andere Stimme, die an uns herantritt. Es ist die Stimme der Überlieferung. Sie wirkt in ihren Formulierungen für manche Ohren unzeitgemäß, aber sie erinnert uns an das, was andere vor uns erfahren und mit ihrem Leben bezeugt haben. „Dass er auferstanden ist nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.“ Schon Paulus zitiert ein Bekenntnis, das er selbst empfangen hat. Die alten Bekenntnisse sind nicht alt, sondern halten eine Gegenstimme. Sie sagt, dass das Leben mehr ist. Dass in Jesus die Spitze eines Eisbergs zu sehen ist, die den Blick auf das Ganze verändert. Hinter dem Bekenntnis stehen Menschen, die ihr Leben dafür eingesetzt haben, die Auferstehung zu bezeugen. Sie haben es nicht dahingesagt. Sie waren selbst sehr ängstlich und haben sich lange nicht getraut, davon zu reden, was ihnen da begegnet ist. Was auch immer wir selbst glauben, wir müssen ernstnehmen: Es gab Menschen, die selbst jedenfalls der Überzeugung waren, dass ihnen etwas begegnet ist, was jeden Rahmen sprengt. Und die daraus radikale Konsequenzen gezogen haben. Ob ich ihnen vertraue, ist noch nicht ausgemacht. Aber ich höre ihre Stimme und sie werden Teil meiner inneren Diskussion.

„Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.“
Nach dem Hinweis auf das Ur-Bekenntnis der ersten Christenheit führt Paulus weitere Zeugen an. Heute sind wir in einer grundsätzlich anderen Situation. Es gibt keine Augenzeugen, die wir befragen könnten. Und dennoch: Wenn ich überlege, was mich aus einer skeptischen Distanz etwas näher an das Geschehen heranrückt, dann ist es nicht nur das Bekenntnis der Kirche, das uns bis heute erreicht. Es sind die Menschen, die es mit Leben erfüllen. Die im Vertrauen darauf, dass in Jesus Christus das Leben stärker ist als der Tod, tatsächlich erfahren, dass sich schwere oder gar aussichtslose Situation in Richtung Leben neigen können. Sie bezeugen die Gegenwart einer Lebenskraft, die sich nicht brechen lässt. Mir steht eine alte Frau vor Augen, deren Körper immer schwächer wird, aber je näher sie dem Tod kam, umso gewisser wurde sie, dass sie ins Licht gehen würde, nicht ins Dunkel. Da ist das Lebenszeugnis afrikanischer Christinnen, die am Grab eines Verstorbenen frohe Tänze in bunten Kleidern tanzen, weil für sie das neue Leben ganz real und spürbar ist. Da ist das Lebenszeugnis derer, die mitten im Leben niederdrückenden Mächten des Todes aus der Kraft ihres Glaubens entgegentreten und aufstehen. Sich nicht unterkriegen lassen, weil sie glauben, dass es am Ende einen Unterschied ausmacht, ob man an das Leben glaubt oder an den Tod.

Diese Lebenszeugnisse von realen Menschen haben einen Einfluss auf das, was ich glaube und lebe. Der Philosoph Sören Kierkegaard nannte das Existenzmitteilung. Das, worauf ich innerlich vertraue, worauf ich mein Leben baue, worauf mein inneres Koordinatensystem gründet, das gewinne ich durch die Begegnung mit Menschen, denen ich abnehme, dass sie selbst etwas trägt. Ob ich ein Mensch werde, der der Durchsetzungskraft des Lebens mehr traut als dem Tod, das entscheidet sich nicht durch Faktencheck und Internetrecherche, sondern durch Begegnung mit Menschen. Ihr Zeugnis lässt mich auf all das aufmerksam werden, was den Rahmen meines sogenannten Realismus immer wieder sprengt. Lässt mich die Spuren aufspüren, die vom Leben zeugen. So merke ich auf, werde sensibel für die Erfahrung, die sich nicht einfach einpassen lassen in mein Weltbild. Wer glaubt, sieht mehr. Gibt es das nicht: eine Liebe, die so stark ist, dass sie selbst über Raum und Zeit hinweg Menschen miteinander spürbar verbindet? Gibt es das nicht: Traumbilder der Hoffnung, die in Menschen aufscheinen auch in ausweglosen Situationen; und dann verändert sich plötzlich auch im äußeren Leben etwas? Die Zeugen des Lebensmacht Gottes setzen ein weiteres Fragezeichen hinter meine Skepsis. Könnte es doch wahr sein? Könnte statt des Nichts eine Überschreitung und Verwandlung auf uns warten? Und kann diese Ahnung nicht aus uns solche Menschen machen, die der Spur des Lebens folgen? Eine Spur, die kein Leid, kein Krieg, kein Schicksalsschlag auslöschen kann? Gerade in Zeiten, in denen sich so viel Destruktives, Bösartiges, Tragisch-Abgründiges zeigt, wie in der Gegenwart, wie in diesen Tagen, ist es wichtiger denn ja, den Blick für diese Spur des Lebens zu bewahren.

„Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. „Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“
Zum Schluss bringt sich Paulus selbst als Zeuge ins Gespräch. Er berichtet davon, dass er selbst gewissermaßen durch ein ihn völlig aus der Bahn werfendes Ereignis ein für alle Mal aus der Distanz herauskatapultiert worden ist.

Paulus wird so selbst zum Zeugen, nämlich dafür, dass wir nur dann eine Beziehung zum Auferstehungsglauben bekommen, wenn wir selbst berührbar geworden sind. Spätestens in dem Augenblick, wo es für uns in unserem Leben wirklich um Sein oder Nichtsein geht, spätestens dann, werden wir aus unserer Distanz herausgeholt.
Wenn uns Glück versagt bleibt, Krankheit, Trennung, innere Not uns heimsuchen, stellt sich die Frage, der wir nicht ausweichen können: Wollen wir es wagen uns dem Kraftfeld des Lebens anzuvertrauen, das sich nicht eingrenzen lässt auf das, was wir für möglich halten, oder geben wir uns dem Gefälle preis, das uns und alle Dinge im Abgrund des Nichts verschwinden lässt. Paulus kämpft leidenschaftlich für den Osterglauben, denn seine Erfahrung war: In dem Augenblick, in dem er die Kontrolle verlor und sich in Gottes Hände fallen ließ, wurde er emporgehoben.

„So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.“
Paulus erinnert uns daran, dass der Glaube an die Auferstehung ein begründeter und belastbarer Glaube ist. Kein Hirngespinst, kein Mythos, keine bloße Poesie. Ein Wagnis bleibt der Glaube, aber Paulus bezeugt, dass er trägt, wenn man den Fuß auf das Zeugnis der Zeugen setzt. Die Leidenschaft, mit der er für diesen Glauben wirbt und einsteht, beeindruckt mich auch heute noch. Natürlich: Immer noch und immer wieder gibt es auch die Stimmen, die in mir zweifeln. Osterglauben bedeutet nicht die Stimmen des Zweifelns mundtot zu machen. Es bedeutet, den anderen Stimmen, die Stimmen des Lebens, Raum zu geben. Wir dürfen sicher sein: Sie werden stärker, nicht schwächer, mit jedem Schritt, den wir im Glauben und Vertrauen hinein ins Leben wagen.
Amen.

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