Publikation zur Ausstellung
Das liebevoll gestaltete Bilder-Lesebuch führt durch die zehn Hängungen der…
Karfreitag 2015
Predigt über Johannes 19, 26-30
Dompredigerin Petra Zimmermann
Liebe Gemeinde, welches Bild vom Gekreuzigten haben Sie? Was steht Ihnen vor Ihrem inneren Auge. Vielleicht ein Christus mit Dornenkrone, dem das Blut in feinen Fäden ins Gesicht läuft? Die Füße überkreuz, von einem Nagel durchbohrt? Vielleicht der im Schmerz verrenkte Christus vom Isenheimer Altar, mit langen Händen, die in einen schwarzen Himmel greifen? Vielleicht der Christus aus Mel Gibsons Hollywood-Film, der im Todekampf schreit? Jeder von uns wird sich ein Bild machen. Und unzählig sind die Bilder und Skulpturen und Filme, die Künstler uns vor Augen stellen. Die meisten bildlichen Darstellungen der Passionsgeschichte stellen das menschliche Leiden des Christus in den Mittelpunkt, den Schmerzensmann. Von Grünewald und Velasques bis Lovis Corinth, Hrdlicka und Hermann Nitsch – es ist der geschundene Christus, der leidende Mensch, das Opfer, das unter Qualen sein Leben verliert. Ganz anders der Christus, den der Evangelist Johannes uns vor Augen stellt.
„Es ist vollbracht.“ Heißt es da am Schluß. Die Kreuzigung endet bei Johannes in einer großen Ruhe. Das Urteil ist vollstreckt, der Mob hat sich ausgetobt, die Soldaten haben den Gewinner des Gewandes ausgewürfelt. Über allem: Der Christus. „Es ist vollbracht.“ Und er neigte sein Haupt und verschied. Kein Todeskampf. Keine Frage nach dem Warum. Kein wortloser Schrei eines Verzweifelten. Am Ende nur diese große Ruhe.
Man muss weit zurück gehen, ins frühe Mittelalter, um Darstellungen zu finden, die diesen Johanneischen Christus zum Vorbild haben. Eine dieser Darstellungen hängt seit gestern Nacht bei uns in der Tauf- und Taufkirche. Es ist ein Elfenbein-Kruzifix aus Bamberg. Fast 900 Jahre alt. Sie müssen es sehen. Wir haben nur den Corpus, das Kreuz, an dem er wohl mal hing, ist im Lauf der Jahrhunderte abhanden gekommen. Der erste Eindruck: Er ist ganz hell. Er strahlt eine lichte Ruhe aus. Die Augen sind geschlossen, sein Gesicht ist ernst, aber nicht gequält. Das Leiden ist aus seinem Ausdruck nicht verbannt, aber es ist überwunden. Die Arme sind hoch gehoben, und obwohl die Nägelmale in den Händen erkennbar sind, scheint es mir eher wie die Haltung eines Segnenden. Das ist nicht der zu Tode gemartete Leidende, sondern der König. Auf dem Kopf gab es wohl mal eine silberne Krone, auch die ist verloren gegangen. Dennoch der Eindruck: Der König am Kreuz hat die Finsternis besiegt. Es ist vollbracht.
Es ist vollbracht, was vom Anbeginn der Zeit beschlossen war. Es ist vollbracht, was die göttliche Absicht mit dieser Welt war. „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht.“ So heißt es zu Beginn des Johannes-Evangeliums. Schon bei der Schöpfung der Welt, als das Wort Gottes die Sonne und die Sterne, die Pflanzen und Tiere und schließlich den Menschen ins Leben rief, war alles beschlossen – war die Heilsgeschichte der Welt beschlossen. Und siehe, es war sehr gut, sprach das Wort Gottes zu Beginn der Schöpfung. Und: „Es ist vollbracht“, spricht der Gottessohn und behauptet damit nicht weniger als dass damit die Vollendung der ganzen Schöpfung geschehen sei. Es ist wie ein großer Gesang, der durch die Himmel zieht.
Liebe Gemeinde, wie bringen wir uns selbst ins Verhältnis zu diesem theologischen Programm des Evangelisten Johannes, zu diesem erhabenen Christus? Wie verbinden wir dieses Geschehen mit unserem Leben? Es ist vollbracht? Wo doch unsere alltägliche Erfahrung zeigt, dass die Schöpfung alles andere als vollendet ist. Das Seufzen der Kreatur durch die Welt läuft. Wo doch diese Welt noch immer aus tausend Wunden blutet und unschuldiges Blut vergossen wird wie eh und je. Wo doch erst in den letzten Tagen sich wieder Tod auf Tod häuft. Ob bei der Katastrophe in Südfrankreich, der explodierenden Gewalt im Jemen. Und Kreuzigungen finden im Irak und Syrien wieder täglich statt. Es ist etwas schrecklich Alltägliches, dass Blut fließt. Was heißt da: Es ist vollbracht?
Versuchen wir einen ersten Anweg. Fragen wir: Was ist vollbracht? Zunächst einmal: Das Leiden ist ausgestanden, die Schmerzen des Leibes und der Seele sind vorbei. Die Qual des Todes klingt nur noch von Ferne nach in diesem Satz. Es ist vollbracht. Schon dies ist ein Trost für manchen, der glaubt, das Leiden wird kein Ende nehmen. Für manchen Angehörigen, der an dem Bett eines Kranken sitzt und auf Erlösung wartet. Es ist ein erster Trost, ein kleiner Trost, er sagt: So wie alles Leben endlich ist, so ist auch der Schmerz endlich und das Leiden. Alles Leiden hat eine begrenzte Zeit. Auch die dunkelste Nacht geht vorüber. Auch die größte Qual wird einmal überstanden sein. Vielleicht haben wir an manchen Kranken- und Sterbebetten zunächst keinen anderen Trost als dass wir mit einem Seufzer der Erleichterung dies sagen: Es geht zu ende, und mit dem Leben endet auch das Leiden.
Aber das ist es nicht allein. Wir müssen versuchen, noch tiefer zu verstehen. Ich gehe noch mal an den Anfang des Evangeliums. „Das Wort ward Fleisch und wohnte mitten unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit. Aber wir erkannten ihn nicht.“ Schreibt Johannes. Und dann: Das Licht scheint in die Finsternis, aber die Finsternis hats nicht ergriffen. Der große Gesang hat zugleich auch diesen dunklen Unterton.
Die Menschen wollten Gott nicht sehen. Sie wollten ihn loswerden. Weil er ihre Kreise störte. Weil er ihre Machtansprüche störte. Weil er Hierarchien infrage stellte, weil er nach den Menschen fragte, wie noch nie jemand nach ihnen gefragt hatte.
Und denken wir nicht, es sei anders geworden. Wir wollen Gott doch auch immer wieder los werden. Und sei es nur für gewisse Stunden. Momente, in denen ich mir von Gott nicht reinreden lassen will. In denen ich mein eigener Herr sein will, niemandem verpflichtet. Wo ich allein sein will mit mir und meiner Entscheidung, ohne mich vor Gott zu verantworten. Alleinsein will mit meinem Ärger und meiner Wut, die ich nicht begrenzen lassen will von einem versöhnenden Gott. Alleinsein mit meinem Streben nach Mehr und mehr, das ich nicht begrenzen lassen will von diesem Gott, der mir sagt: du brauchst das alles nicht. Alleinsein sogar mit meinem dunklen Schmerz, ohne mich von Gott trösten lassen zu wollen. Die Macht Gottes soll ausgeschaltet werden, damit sich der Wille des Menschen zur Macht durchsetzen kann. Es ist vollbracht. Die Menschen haben die große Störung beseitigt. Der Mund, der so aufregende Dinge gesagt hat, ist zum Schweigen gebracht. Der Gottessohn ist in die Tiefe des Todes gestoßen. Weg mit ihm. Das ist die dunkle Seite dessen, was vollbracht ist.
Aber, so versteh ich Johannes, dort in der Tiefe des Todes, in der Hölle der Bosheit, auf dem Grund des absoluten Nichts, dort beginnt etwas Neues. Die neue Schöpfung, die re-creatio, wie die Alten sagten, die Wiederschöpfung der gefallenen Welt. Diese Welt, die ohne Gott sein wollte, die sich gewehrt und gesträubt hat gegen ihn, diese Welt wurde umfangen von dem liebenden Gott.
Vielleicht können wir es uns so vorstellen: Wenn ein Mensch, der einem am Herzen liegt, auf einem schlimmesn Weg ist, wenn er wie blind ist, verhärtet, verwirrt und mein Wort ihn nicht mehr erreicht. Dann wünschte ich, man könnte bis zu seinem Innersten gelangen, hinabreichen bis zu seinem tiefsten Kern und ihn dort mit Liebe umfangen und neu aufrichten.
Oder wir selbst, wenn wir einen klaren Blick auf unser Leben werfen, ohne Verschönerung und Entschuldigung und Selbsttäuschung, und in den Blick nehmen, was wir getan oder unterlassen haben. Wenn wir all unsere Unversöhnlichkeit in den Blick nähmen, unsere Feigheit, unser Versagen – dann kann man fühlen: ich müsste aus mir selbst heraus, von mir selbst los kommen, von meiner Vergangenheit, meiner Geschichte, müsste ins Freie gelangen. Eine Kraft müsste kommen und mich umfangen, mein Innerstes erreichen, mein eigentliches Wesen umkehren. Mich ins Licht ziehen.
In der Tauf- und Traukirche hängt ein Bild des Malers Stephan Sehlers. Es hängt dort, wo der Altar sich hinter dem grauen Kubus verbirgt. Ganz in erdigen Graubraun – Tönen. Streng symmetrisch explodiert aus der Mitte des unteren Bildrandes eine Bewegung sternförmig nach oben. Oder werden die Strahlen hinabgezogen? Man sieht die Bewegung, die sich aus einem Punkt entfaltet oder in einen Punkt hinabfällt. Auf und ab geht es mit einer Energie, die sich nicht festhalten lässt. Und je nach Lichteinfall flammt in den grauen Strahlen plötzlich ein zarter Golddton auf. Dann glitzern silberne Punkte. Wo der erste Blick nur die Dynamik in Graubraun wahrnimmt, entdeckt der zweite etwas anderes. Es ist wie ein leises Versprechen.
Für mich verbindet sich mit diesem Bild die Dynamik, die der Evangelist Johannes mit seiner Passionsgeschichte erzählt. Christus steigt hinab. Steigt hinab bis in das Wesen des Menschen. Dorthin, wo seine Angst sitzt, seine Bosheit, seine Verhärtung. Er stürzt hinab bis auf den letzten Grund, um dies alles zu umfangen und zu lösen. Indem er hinabtauchte bis zu der letzte Tiefe, in die größte Finsternis, in das absolute Nichts, aus der die Welt neu geschaffen wurde, indem dies geschah, wurde die Schöpfung neu. Die Macht der Liebe ruft die neue Schöpfung herauf. Der Bann der Finsternis ist durchbrochen. Ich bin das Licht der Welt. Es ist vollbracht.
Liebe Gemeinde, wir müssen das zusammenhalten. Den Abstieg in die Tiefe, die zugleich Erhöhung ist, die Gewalttätigkeit dieses Todes und die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Die Dornenkrone und die Krone des Lebens, Höllenfahrt und Himmelfahrt. Das ist das Zeichen des Kreuzes, dieses Zusammenführen von Tiefe und Höhe, von Tod und Leben. Dieses Kreuz durchkreuzt die Vorstellungen, die wir uns von Tod und Leben, Tiefe und Höhe machen. Dieses Zeichen des Kreuzes kann die Welt nicht mehr loswerden. Da kann die Bosheit sich aufbäumen, der Tod seine Mätzchen machen, wie er will, durch dieses Kreuz hat uns der Christus den Zugang zum Leben verschafft.
Liebe Gemeinde, der Evangelist Johannes war ein großer Theologe, er durchdachte Himmel und Erde, Gott und Mensch in einer großartigen Schau und mutet uns damit einiges zu. Aber am Ende ist es etwas ganz einfaches, was er uns mitgibt. Anders all die anderen Evangelisten lässt er die Frauen und seinen Jünger nicht nur von Ferne das Geschehen auf Golgatha verfolgen, sondern stellt sie direkt unter das Kreuz. Und Jesus weist sie, Jesus und seinen Jünger, einander zu. „’Siehe Frau, dein Sohn!‘ Dann sagte er zu seinem Jünger, den er liebte, ‚siehe, deine Mutter!’“ Dies ist das letzte, was Johannes Jesus vor seinem Tod sprechen lässt. Und es ist wie ein Vermächtnis.
Menschen werden einander ans Herz gelegt. Miteinander verbunden. Menschen, unterschiedlich an Alter, an Herkunft, Geschlecht. Menschen, nicht blutsverwandt, werden zu einer Familie zusammen gefügt. Liebesverhältnisse werden begründet.
„Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“, schreibt Johannes an einer anderen Stelle. Menschen werden einander anvertraut. Menschen, die gemeinsam um einen Toten trauern. So wie wir gemeinsam um unsere Toten trauern und fragen: was hat er dir bedeutet? Was hat er mir bedeutet? Und wir nehmen uns in den Blick. Und entdecken, die Liebe zu ihm verbindet uns miteinander.
Liebe Gemeinde, welche Bilder des gekreuzigten Christus tragen wir in uns? Vielleicht der gotische Christus, der Schmerzensmann, der bis ins letzte mit ins Leid und die Gottverlassenheit geht. Vielleicht der romanische Christus, der mir zeigt: die Mächte dieser Welt haben nicht das letzte Wort. Man darf die beiden Bilder nicht gegeneinander ausspielen.
Ein letzter Blick auf den Christuscorpus in der Tauf- und Traukirche. Etwas ist mit ihm geschehen. Im Laufe der Jahrhunderte ist er zweimal zerbrochen. Man hat ihn jedesmal wieder zusammengefügt. Doch so, dass man die Risse noch sieht. Und so sind in diesem hellen Christusleib noch Spuren der Zerstörung erkennbar. Wie verheilte Narben durchziehen sie seine rechte Seite. Eine gebrochene Figur, die dennoch nichts von ihrer Kraft verloren hat. Es ist, als rufe sie uns zu: „ich zerbreche nicht und ich lasse auch nicht zu, dass du zerbrichst.“ Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Ostermontag 2015
Predigt über Lukas 24, 14-35
Dompredigerin Petra Zimmermann
Gnade sei mit euch und Frieden von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde, zwei Jünger sind auf dem Rückweg. Kleopas und ein Gefährte. Bloß weg von Jerusalem. Bloß weg von diesem Ort der Niederlage. Alles vorbei. Sie hatten mal ihre ganze Hoffnung zusammengekratzt und sich diesem Jesus von Nazareth angeschlossen. Schon damals waren sie gewarnt worden, dass das alles Unsinn sei. Schuster, bleib bei deinen Leisten, hatten sie zu hören bekommen. Den Kopf hatte man über sie geschüttelt. Nun kehren sie heim. So wie die kleinen Leute immer aus all den Kriegen und Revolutionen heimkehren. Nichts gewonnen aber viel Hoffnung verloren, und für den Spott werden die Nachbarn schon sorgen.
So geht man dahin. Auf staubigen Straßen. Zurück in die alten Verhältnisse. Und sie erinnern sich: weißt du noch? Weißt du noch, wie alles begann? Als Jesus zu den Fischern kam, und Petrus plötzlich volle Netze aus dem Wasser zog? Weißt du noch, wie er den Gelähmten heilte mit einem Wort? Weißt du noch wie wir aßen und tranken mit all den finsteren Gestalten, mit denen man sich zuvor nie freiwillig an einen Tisch gesetzt hätte? Alles schien möglich in diesen Tagen. Alles. Doch nun – vorbei. Der Mund, der so Ungeheuerliches gesagt hatte – verstummt. Die Hände, die so zärtlich sein konnten – von Nägeln durchbohrt. Alles vorbei. Er starb am Kreuz wie so viele vor ihm auch. Er war – Vergangenheit. Die Frauen hatten zwar gesagt, sie hätten von Engeln gehört, er lebe… Aber, mein Gott, was man so alles hörte in diesen Tagen. Weibergeschwätz! Die beiden Männer reden miteinander. Immerhin. Sie erinnern sich. Sie graben tief. Sie suchen nach dem Sinn der Geschichte. Und finden keinen.
Dann stößt ein Ahnungsloser zu den Ahnungslosen. Kommt aus der Stadt und hat von all dem nichts gehört. Wo lebst du denn? Fragen sie ihn. In welcher Zeit, in welcher Welt, auf welchem fremden Stern? Hast du nicht mitbekommen, was geschah? Die ganze Stadt redet davon. Und sie beginnen, dem Fremdling ihre Welt zu erklären. Und ihre Zeit. Sie setzen ihn in Kenntnis. Nehmen ihn hinein in ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, in ihre Zweifel. So wird er ihnen zum Zeitgenossen und zum Weggefährten. Aber erkennen tun sie ihn nicht. „Ihre Augen waren gehalten.“, wie es so schön heißt.
Liebe Gemeinde, wie ist das möglich? Frage ich Sie? Wie kann das sein, dass die beiden ihn nicht erkennen? Sie hatten doch mit ihm zusammen gelebt. Sie hatten ihm zugehört, seine Stimme vernommen, seine Gesten gesehen. Wir erkennen einen vetrauten Menschen doch häufig schon von ferne. An seinem Gang, wie er sich bewegt. Und die Stimme, die würden wir doch aus tausend anderen sofort heraushören. Doch sie sind wie blind und taub. Vielleicht ist der Grund dafür ihre ausweglose Trauer. Sie legt sich wie ein Panzer um sie. Manche von uns werden das vielleicht kennen. Nach einem Tod eines Angehörigen, der tief ins Leben hineinschneidet. Der einen wie abgeschnitten von der Welt sein lässt. Man muss sich hart machen, um überhaupt weiter leben zu können, irgendwie. Es ist als sei man nicht mehr erreichbar für die anderen. Und oftmals braucht es lange, bis die Stimmen wieder zu mir durchdringen und ich wieder zu fühlen beginne.
„Wir hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen sollte.“ Ein bitterer Satz. Darin die ganze Enttäuschung. Wir hatten geglaubt, er sei der Messias, der Gerechtigkeit bringen würde. Gerechtigkeit für die Armen. Brot für die Hungernden. Frieden für die Völker. Er war so viel mehr als eine persönliche Hoffnung für mein Leben. Mit ihm sollte die Welt neu werden und alle Tränen abgewischt. Doch nun bleibt die Welt wie sie ist, und alles geht weiter wie eh und jeh. Die einen auf Rosen gebettet und die anderen unten im Dreck. Die einen an den Hebeln der Macht und die anderen das Kanonenfutter ihrer Interessen. Und immer so weiter und weiter. Die Welt war nicht zu retten.
Und so erzählen sie ihm von ihrer verlorenen Hoffnung. Und Er hört zu. Geht mit ihnen. Lässt sich nicht abschrecken von ihrer Verzweiflung. Und das ist ein Anfang. Und der Panzer bekommt einen ersten Riss. So wenn wir, stumm geworden von Kummer und sprachloser Trauer, jemandem begegnen, der nach uns fragt. Und wir langsam zu stammeln beginnen, und nach Worten suchen. Und dann kann es sein, es beginnt etwas zu fließen, Worte, Tränen. Noch ist die Dunkelheit nicht überwunden, aber ein Schimmer Hoffnung schiebt sich in den Horizont. Noch ist der Weg nicht erkennbar, aber die Füße beginnen zu gehen. Und beides ist gleichzeitig da.
Liebe Gemeinde, wir werden später die Kantate hören. „Erfreut euch, ihr Herzen, entweichet, ihr Schmerzen.“ Eine ganz besondere Osterkantate von Johann Sebastian Bach. Obwohl festlich und tänzerisch, wird die freudige Botschaft der Auferstehung mit einem dunklen Unterton versehen. Noch ringen Furcht und Hoffnung miteinander. Zwei Stimmen scheinen miteinander zu streiten. Und in einem Duett im Mittelteil wird das ganz ausdrücklich. Da singt die eine Stimme: Kein Auge sieht den Heiland auferweckt, es hält ihn noch der Tod in Banden. Und zugleich, nur leicht versetzt, widerspricht die andere: Mein Auge sieht den Heiland auferweckt, es hält ihn nicht der Tod in Banden. Das Ganze wird von der Musik als erregter Disput dargestellt. Und die Choralstrophe am Schluß beginnt zwar mit einem dreifachen Halleluja, doch das Ende ist eine nachdenkliche Bitte um Gottes Erbarmen.
Ja, so ist es wohl, am Ende kann man den ganzen Widerstreit zwischen Glauben und Zweifel, Hoffnung und Angst, der vermutlich in den meisten von uns hockt, nur dem Erbarmen Gottes anheim stellen. Mehr bleibt uns vorerst nicht. Weniger aber auch nicht.
Zurück zur Geschichte von Emmaus. Die Jünger erzählen. Und dann erzählt der Fremde. Und öffnet seine Welt vor ihnen. Zeit-Räume tun sich auf, die alles Gegenwärtige überschreiten. ‚Denkt an Mose und alle Propheten‘ sagt er. Und während er erzählt, tut sich hinter ihrer Geschichte eine andere Geschichte auf. Ihre persönliche Geschichte wird Teil einer großen Erzählung. Und die reicht weit zurück bis an die letzten Ränder einer unbegreiflichen Vergangenheit. Und reicht hinein bis in eine unvorstellbare, unerschlossene Zukunft. Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Weiter läßt sich der Bogen kaum spannen. Ein Muss, das offenbar dem Ursprung selbst eingeboren ist. Ein Muss, das nicht irgendwann und irgendwo dazwischen kommt und den Fortgang der Geschichte stört, sondern von dem diese Geschichte ihren Ausgang nimmt. Ein Muss, ohne das die sich nicht in Herrlichkeit vollenden kann. Die Geschichte der Jünger wird in eine große Erzählung gestellt, und der Fremde gibt ihnen damit einen ersten Schlüssel zum Verstehen an die Hand. Nach seiner Lesart ist ihre Geschichte durch den Tod Jesu nicht sinnlos geworden.
Dass Kleopas und sein Gefährte kaum etwas begreifen, kann nicht überraschen. Immerhin, eine Ahnung überkommt sie. Im Nachhinein werden sie es merken. „Brannte nicht unser Herz als er mit uns redete?“ Aus einer solchen Ahnung heraus laden sie den Fremden ein, über Nacht beim ihnen zu bleiben. Am Tisch, beim Abendbrot, scheint es, verstummen die Gespräche. Keine Fragen mehr, keine Verständnisbemühung, keine Begriffsgebäude. Nur dies. Er nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Der Fremde hat etwas mitzuteilen, was jede Antwort, die er geben könnte, übersteigt – sich selbst. „Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn.“ und für einen kuzen Moment scheint es, als risse der Himmel auf. Alle Geschichten sind an ihrem Ziel. Zeit und Raum hören auf zu sein. Und Ahnung klärt sich zur Gewissheit. Er lebt.
Liebe Gemeinde, seit gestern Nacht hängt in der Tauf- und Traukirche ein neues Bild. Es ist von Max Beckmann. Ein kleines Wunder, dass das möglich wurde. Es ist eine Vorarbeit zu seinem berühmten Bild „Die Auferstehung“ und bislang kaum öffentlich zu sehen gewesen. Der untere Teil des Bildes ist in dunklen Farben gehalten. Menschen sind erkennbar. Die Gesichter schauen nach oben, werden geradezu hinaufgezogen. Arme recken sich empor. Als wollten sie hochgehoben werden. Hinauf in das Licht, das sich wolkig über ihnen öffnet. Im Zentrum des Bildes, fast schon hineingezogen ins Helle, ein Körper, goldfarben, wie von Engelsschwingen getragen. Andere folgen ihm, rechts und links. Mit Zug nach oben. Von einigen sind nur noch die Beine zu sehen, die Körper sind bereits in diesem Lichtbereich entschwunden. Nur einer von denen, die unten stehen, schaut nicht hinauf. Steht, frontal dem Betrachter zugewandt. Hält sich die Hände vors Gesicht, das nach unten schaut, als wolle er nicht teilhaben an dem Geschehen. Als schotte er sich ab, in sich selbst versunken. Mir kommt er vor, wie der Teil von uns, der sich vergraben möchte. Der nicht sehen kann, was geschieht. Dessen Augen gehalten sind. Wie lange wird er so stehen bleiben, während um ihn herum die Welt ins Licht gezogen wird?
Die Geschichte der Emmausjünger endet mit Aufbrüchen. Zur selben Stunde, also noch in der Nacht standen sie auf, machten sich auf den Weg. Zurück nach Jerusalem. Dorthin, wo scheinbar alles zu einem Ende kam und jetzt ein neuer Anfang auf sie wartet.
Die Wanderung nach Emmaus dauert länger als die beiden Stunden, die man für den Weg von Jerusalem in dieses Dorf benötigt. Sie dauert ein ganzes Leben. Sie führt durch Täler und manchmal über Höhen. Sie führt durch Wüsten und gelegentlich an Quellen. Manche Begegnungen schreiben sich ihr ein. Nehmen Einfluß auf Richtung und Ziel. Und manche Ahnung scheint auf. Wird vergessen. Und scheint oftmals erst in der Erinnerung wieder auf. Da war doch der Klang von Schritten neben mir, so als ginge ich nicht alleine durch die Nacht.
Eine Geschichte. Ein Gleichnis. Hilflose Zeichen für das, was sich so schwer fassen und noch schwerer beschreiben lässt. Künstler versuchen es. Und werfen uns eine Landschaft von goldenen Bonbons vor die Füße. Für euch. Nehmt sie. Ihr dürft sie essen. Langsam. Sie sind vergänglich, wie wir vergehen. Aber sie sind süß und nahrhaft und wecken eine kindliche Freude.
Komponisten versuchen es. Bach.
„Jesus erscheinet, uns Frieden zu geben,
Jesus berufet uns, mit ihm zu leben.
Täglich wird seine Barmherzigkeit neu.“ Wir hören es gleich.
Alles Annäherungen. Ahnungen vielleicht. Auch wir wissen ja nicht, in welcher Gestalt er uns begegenet. Wir stellen ihn uns zu ähnlich vor. Wir täuschen uns. In Emmaus kam er als Schriftgelehrter zu den Jüngern. Das nächste mal vielleicht als Bettler am Wegesrand. Oder mit Tatoos übersäht, auf der Brust die Schrift „Fool for love“. Sie werden das Bild nebenan entdecken. Die Erscheinungen fügen sich nicht in die Bilder, die wir uns von ihm machen. Er erscheint immer wieder neu.
Manchmal freilich verdichtet sich die Ahnung zu einem Bild. Das brennt sich ein ins Herz. Für einen kurzen Augenblick haben wir Gewissheit. Sehen die Welt gleichsam von innen. Ganz. Und ungeteilt. Und können vielleicht wie die Jünger auf dem Weg sagen: das war er! Nicht, dass wir sein Bild dann hätten. Es hat uns. Und lässt uns so leicht nicht wieder los.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Das liebevoll gestaltete Bilder-Lesebuch führt durch die zehn Hängungen der…
In wenigen Tagen endet die Ausstellung. Wie war die Reaktion…
Zwischen Ostermontag und Pfingsten liegen 49 Tage. In diesen 49…