Eine Ausstellung alter und zeitgenössischer Kunst im Berliner Dom

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Predigt

Predigt zur Ausstellungseröffnung über Markus 12,1-12 von Dompredigerin Petra Zimmermann
Sonntag Reminiscere, 1. März 2015

Dpmpredigerin Petra Zimmermann, Foto © Gerald von Foris

Dompredigerin Petra Zimmermann, Foto © Gerald von Foris

Im Knistern und Knacken einer überlasteten Telefonleitung wurde am Dienstag vergangener Woche der Bericht der Augenzeugen durchgegeben. Die Mörder kamen Montagfrüh um vier. Sie umzingelten die christlichen Dörfer am Fluss Chabur. Schlugen Tausende assyrischer Christen in die Flucht, nahmen ganze Familien gefangen. 50, 90, 100 Familien – die Zahlen schwanken. Männer, Frauen, Kinder, sie wurden voneinander getrennt. Wir wissen nicht, was mit ihnen geschieht. Nur, dass sie in einem Gebiet lebten, das die Krieger des sogenannten „Islamischen Staates“ auf einer Karte als Kerngebiet ihres Traumkalifats veröffentlichten. Die Botschaft ist eindeutig: Christen gehören nicht zum Kalifat! Auch nicht die Jessiden, auch nicht die Muslime, die anders glauben als die Kämpfer des IS. Und mit den Menschen soll auch gleich alles vernichtet werden, was an sie und ihre Kultur erinnern könnte. Klöster werden abgebrannt, Museen und Bibliotheken geplündert, Kirchen gesprengt. Nichts anderes soll mehr gelten als die eigene Überzeugung, nichts anderes hat mehr Platz als die eigene Vorstellung, der eigene Machtanspruch. Deshalb die Schändung der Bilder, die Schändung der Körper, die sich dem nicht unterordnen. Gewalt – ein Virus, der sich ausbreitet und alles mitreißt, was in seine Todeszone gerät.

Eskalation der Gewalt – auch im biblischen Gleichnis. Der Winzer hat einen Weinberg angelegt. Hat dem Boden, der Landschaft, eine Gestalt gegeben. Anstrengende Arbeit, sorgfältig geplant und ausgeführt. Er bereitet den Boden, errichtet Zäune vor dem Fraß der Tiere. Baut die notwendigen Gebäude. Pächter werden eingesetzt. Der Weingärtner reist außer Landes. Später dann will er seinen legitimen Anteil an den Früchten des Weinbergs abholen lassen. Er schickt einen Knecht zu den Pächtern, und die schlagen ihn und schicken ihn mit leeren Händen zurück. Er schickt einen zweiten Knecht, und die Gewalt breitet sich aus. Schläge auf den Kopf, Tritte, Beschimpfungen. Wir haben die Bilder vor Augen: Das Opfer, das sich hilflos am Boden krümmt, das den Kopf zu schützen versucht. Noch mal und nochmal treten die Füße zu. Der Weinbergbesitzer schickt einen weiteren Knecht, und noch einen. Als könne er nicht glauben, was da geschieht. Einige der Knechte kehren zurück, schwer misshandelt. Andere werden totgeschlagen, er sieht sie nie wieder.

Schließlich schickt er seinen Sohn. Den einzigen. Den, den er liebt. Dem werden sie doch nichts tun. Dem Sohn. Dem Erben. Ihn werden sie doch nicht – doch, sie werden. Und wenn da bei den Pächtern auch ein kurzes Zögern gewesen sein mag, immerhin scheinen sie miteinander zu beraten, so fällt doch der Entschluss mit kalter Berechnung. Wenn wir den Sohn und Erben ausschalten, gehört alles uns. „Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.“

Wer den Erben tötet, bringt sich in Besitz der Erbschaft. Wer den Erben tötet, wird selber Herr im Hause. Kann selber Schalten und Walten. Sagen, was gilt und was nicht. Was Bedeutung hat und was nicht. Und es wird alles aus dem Haus geschafft, was an den einstigen Besitzer erinnern könnte. All die alten Bilder – raus damit. All dieses Gerümpel, das von seinen Zeiten erzählt. Alles, was die Erinnerung an den Alten weiter tragen könnte – weg damit. Alles weg! Endlich frei von Bevormundung, endlich frei von allen fremden Ansprüchen. Jetzt bestimme ich, was bleiben darf und was meinem Urteil nicht Stand hält.

Liebe Gemeinde, das Gleichnis lässt sich auch lesen als eine Ermächtigung des modernen Menschen. Es lässt sich lesen als einen Versuch, mit dem Erben Gott selbst auszulöschen. Ihm das Recht und Anrecht auf das Leben des Menschen abzusprechen. Ihm den Weinberg, die Welt zu entreißen. Wir haben uns mit dem Eintritt in die moderne Welt in den Besitz der Erde gebracht. Wir wollen sie nicht mehr im Auftrag eines anderen hüten. Wir wollen den Weinberg für uns. Ganz für uns. Wollen darin tun, was uns gefällt. Wollen frei sein in dem, wie wir ihn nutzen, frei sein, ihn zu verändern nach unserem Gutdünken, frei von allen Vorgaben und Ansprüchen. Und wenn wir erfolgreich sind, dann haben wir das nur uns selbst gut zu schreiben. Wir sind niemandem mehr etwas schuldig. Oberpfarr – und Domkirche zu Berlin 2
Allerdings drängt sich einem auf der Bildebene des Gleichnisses schnell die Frage auf, was eigentlich die Pächter machen, wenn alle fremden Besitzansprüche ausgemerzt sind. Wie geht es unter ihnen weiter? Werden sie die Früchte des Weinbergs friedlich miteinander teilen? Oder beginnt der Kampf unter ihnen zu toben, wer denn nun von ihnen die meisten Früchte sein eigen nennen darf. Erzählt wird das nicht, doch die Vermutung liegt nahe, dass die Gewalt, einmal erlebt, jederzeit wieder ausbrechen kann. Immer wieder steht ja jemand im Weg, der einem die Freiheit einschränken will, der einen Anteil fordert. Da liegt es nahe, doch nicht beim Erben halt zu machen, sondern die Selbstdurchsetzung weiter zu treiben. Man kann sich leicht ausmalen, wie die neu gewonnene Freiheit der Pächter im Blutbad des gegenseitigen Hauens und Stechens ersäuft wird.

Das Gleichnis wirft einen realistischen Blick auf die Menschen, indem es diesen dunklen Kern aus Gier und Hass und Kaltblütigkeit freilegt. Man kann sich schwer raushalten mit einem empörten: wie konnten die nur! Es ist unsere Gewaltbereitschaft, die hier zur Sprache kommt. Und die lauert. Es ist diese heimliche Überzeugung, dass wir mit Gewalt mehr erreichen als mit Sanftmut. Und vor allem, dass wir es schneller erreichen. Wir können in wenigen Tagen eine Stadt zerstören, aber es braucht Jahrzehnte, um sie wieder aufzubauen. Wir können mit wenigen Worten Vertrauen zerstören, aber es braucht lange Zeit, um es wieder zu erlangen. Wir können mit einem Handstreich eine Beziehung in die Brüche gehen lassen, aber es braucht viel, um sie zu erneuern. Überall sind wir im Zerstören effektiver als im Aufbauen. Und der Furor, mit dem dies alles geschieht, scheint sich noch zu erhöhen, sobald die Religion ins Spiel kommt. Es ist ja nicht so, dass der Bezug zu einem Weinbergbesitzer, zu Gott oder der Schöpfermacht die Gewaltbereitschaft der Menschen gleichsam automatisch mindert. Die Bilderstürme im Namen der Religion waren nicht weniger brutal als die Bilderstürme im Namen einer atheistischen Ideologie. Deshalb ist natürlich jeder naiv oder ignorant, der meint, mit einer Rückkehr hinter die Moderne wäre eine heilere Welt zu gewinnen. Was aber dann?
Vertrauen wir uns noch einmal der Bildebene des Gleichnisses an. Da ist einer, der baut einen Weinberg. Und er geht außer Landes. Er geht außer Landes. Er bleibt nicht da und sammelt die Früchte ein, sondern er geht. Er übergibt den Weinberg in die Hände anderer. Er überlässt ihnen den Weinberg. Er lässt sie machen. Schenkt ihnen die Freiheit. Überlässt es ihnen zu entscheiden, wie der Weinberg zu bearbeiten sei. Welche kulturellen Errungenschaften man ausprobieren könnte, wie neue Wege angelegt und wo Zäune abgerissen oder neu gebaut werden sollen. Es ist kein alles kontrollierender Besitzer, der jeden Griff und jeden Gedanken bestimmt. Er übergibt den Weinberg den Menschen, die ihn in Freiheit bearbeiten und seine Früchte genießen sollen.

Liebe Gemeinde, erzählt wird hier von einem Gott, der die Freiheit des Menschen will. Der ihn nicht gängelt und ihn nicht wie eine Marionette an Fäden zieht. Ein Gott, der die Gedanken frei gibt und Räume schafft. Und dennoch geht es um eine Freiheit, die das Erbe nicht ausschlägt, das ihr zugrunde liegt. Die den Erben nicht vernichten muss, um sich selbst zu behaupten. Eine Freiheit, die anerkennt, dass wir uns nicht selbst erschaffen haben, auch die Welt nicht selbst gemacht haben. Eine Freiheit, die erkennt, dass sie nichts erschaffen kann, was dem Tod widersteht. Eine Freiheit, die sich verdankt. Eine Freiheit, die sich bezieht auf etwas anderes, das größer ist als sie selbst. Ohne diesen Bezug auf etwas anderes, verheddert sich die Freiheit in sich selbst. Sie kennt keinen anderen Referenzrahmen mehr als sich selbst, dreht sich um sich selbst. Entleert sich, verwirrt sich in müder Langeweile oder wird gewalttätig. „Was nun wird der Herr des Weinbergs tun?“, fragt Jesus am Ende der Geschichte. Die Antwort liegt nahe und wird spontan gegeben: „Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.“ Wessen Antwort ist das? Die Antwort Jesu? Die Antwort, die allen auf der Zunge liegt? Die Antwort, die wir, nach menschlichem Ermessen, geben würden, denn die Schuld muss doch gesühnt werden. Die Antwort ist das Erwartbare. Wird es auch so kommen? Ende offen?

Der Evangelist Markus belässt es nicht bei diesem offenen Ende. Er schreibt ja diese Geschichte viele Jahre später auf. Er weiß, wie die Geschichte Gottes mit den Menschen weiter gegangen ist. Deshalb legt er Jesus nach dem Ende des Gleichnisses noch ein Zitat aus der hebräischen Bibel in den Mund. Ein Psalmwort. Jesus spricht: „Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?

Es ist ein Einspruch gegen die erwartete Antwort. Gerade der Stein, der so wertlos schien, das er nach menschlichem Ermessen nichts taugte, bekommt eine Funktion, die den ganzen Bau zusammenhält. Gerade der, der verwundet und gequält wurde, und mit einem wortlosen Schrei starb, wird zum Träger der Hoffnung auf ein Leben, das den Tod überwunden hat. Wo es nach menschlichem Ermessen nichts Oberpfarr – und Domkirche zu Berlin 3 mehr zu hoffen und nichts mehr zu erwarten gab als Strafe und Tod – erweist sich Gott als der Barmherzige, der mit dem Blut des ermordeten Sohnes einen neuen Anfang setzt.

Liebe Gemeinde, wenn sie nachher die Tauf- und Traukirche betreten, wird ihnen an der Seite, an der sie den Altar erwarten, eine graue Wand im Weg stehen. Darauf ein quadratisches Bild, vielleicht eher eine Skulptur, die Farbe ein grelles Rosarot, das ins Auge sticht. Eine Stück Leinwand, in der Mitte ein Schnitt von oben nach unten. Der Künstler Lucio Fontana, Maler, Bildhauer, Keramiker begann zehn Jahre vor seinem Tod, Schnitte in Leinwände zu setzen. Wie Wunden in einen Körper. Er zerstörte damit die Leinwand, den Bildträger und damit die Grundbedingung der traditionellen Malerei. Eine Kritik am eigenen Schaffen? Protest gegen eine routinierte Malerei, die dem Betrachter manipuliert und ruhigstellt, statt ihn aufzuwühlen? Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, der wie ein gnadenloser Zerstörer das Leben vernichtet? Das alles, vielleicht. Vielleicht aber auch eine Ahnung, dass aus den Wunden neues Leben hervorgehen kann. Dass die Lebendigkeit womöglich dort am größten ist, wo wir uns trauen, uns unsere Wunden zu zeigen. Wo wir uns anvertrauen. Und daraus Neues entsteht. Nicht unversehrt, nicht wie am Anfang, nicht in träumender Unschuld, sondern in einem Leben das um seine Verwundungen, sein Scheitern, seine Niederlagen, seine Schuld weiß. Und dennoch nicht aufhört, sich zu sehnen nach dem anderen, der großen Verheißung.
Wir bauen an dem Weinberg. Graben die Erde um, reißen Zäune ein und erhöhen die Türme. Wir versuchen zu verstehen, beteiligen uns an der kulturellen Entzifferung der Welt, mit Worten und Bildern, Skulpturen und Musik, Filmen und Räumen, wir stellen Fragen, gehen an Grenzen, suchen nach dem, was hinter der Gestalt, der Melodie, dem Wort – was jenseits verborgen liegt. Wir fragen danach, was das alles für einen Sinn macht, dieses Leben mit seiner Lust und seinem Schmerz, seiner Alltäglichkeit und seinem Zauber. Und manchmal, da kann es sein, dass wir jenseits der Form, des Materials, des Wortes den anderen spüren und eine Ahnung davon haben, dass wir geschaffen sind, und angewiesen und herausgefordert von dem, der sich in diese Welt warf, damit wir das Leben haben.

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