Publikation zur Ausstellung
Das liebevoll gestaltete Bilder-Lesebuch führt durch die zehn Hängungen der…
Eröffnungsrede zur Ausstellung von Pater Georg Maria Roers SJ, Kunst- und Kulturbeauftragter und Künstlerseelsorger der Erzdiözese Berlin
Microcosme
In einem der großen Langgedichte der französischen Renaissance von Maurice Scève wird der lange Weg des Menschen von der Schöpfung bis zu seinem Fall, bis zu seiner Rückkehr zu Gott beschrieben. Als erstes lernt der Mensch in Adams Traum die Dichtung im Rahmen der Artes liberales kennen. Das Gedicht heißt Microcosme: Der geträumte Mensch und der träumende Adam werden bei der Ankunft auf dem Parnass von einem göttlichen Feuer ergriffen. Das hört sich dann so an:
„Schon früh er sich ganz enthoben, zum heiligen Berg entführt
doch ohne zu wissen wie, außer dass er seinen Geist
aus sich entrissen fühlt, um einem größeren zu folgen.
Nicht mehr erkennt er sich als Mensch, sondern als Gott,
von göttlichem Furor an diesem Ort inspiriert.“
Alexander Ochs hat sich mit der Ausstellung Du sollst dir kein Bildnis machen bzw. Du sollst dir ein Bildnis machen dem göttlichen Furor an diesem Ort ausgesetzt. Er lässt den Betrachter spüren wie es sich anfühlt, wenn Bilder aus dem Neobarock auf zeitgenössischer Positionen treffen oder auf eine Anna Selbdritt aus dem frühen 15. Jahrhundert. Du sollst dir kein Bildnis machen, so lautete die monotheistische Antwort auf die Eigenart der Menschen, sich immer wieder neue Götter zu schaffen. Davor sind wir auch heute nicht gefeit.
Im Christentum kreisen alle unsere Sinne letztlich um Jesus Christus selbst wie bei der schon erwähnten Anna Selbdritt. Die Augen zweier Frauen kreisen um den nackten Jesusknaben und im Hintergrund schaut eine Muslima im weißen Schleier zu. Das Heilige wird in unserer Tradition verschleiert. Auf raffinierte Weise erinnert uns der Kurator an die Heiligkeit der Frau, die dadurch verstärkt wird, dass im Hintergrund eine schlichte Vase von Young-Jae Lee auf dem Sockel steht. Die Zerbrechlichkeit bezieht sich auf das Kunstobjekt gleichermaßen wie auf den Sozialen Status von Frauen in nicht wenigen gesellschaftlichen Systemen.
Wie kann man das Bidlerverbot, um das es heute geht, besser in Szene setzen? Das Spiel mit den Bildern kommt hier im Dom mit einer wundervollen Leichtigkeit daher. Dabei vergisst man schlicht, welch blutige Kriege im Kampf um religiöse Bilder schon geführt wurden. Der Ikonoklasmus ist immer radikal, sei es der traditionell religiöse oder jener, der Moderne. Fontanas Bild, das hier gezeigt wird, ist ein schönes Beispiel dafür. Die Grundbedingungen der traditionellen Malerei werden in Frage gestellt. Der Verweis auf die Bibel erfolgt dezent, denn auch sie ist in die Stirnwand des Grey Cubes eingelassen. Und auch die Bibel ist wie die Kunst in der Lage, unser Leben auf den Kopf zu stellen. So weisen religiöse und künstlerische Positionen in die selbe Richtung. Was müssen wir eigentlich tun, um als Christen wach zu bleiben und als Zeitgenossen kritisch?
Alexander Ochs erinnert sich in seinem Text zur Ausstellung an einen Gastprediger im Dom zu Berlin: „Ein evangelischer Dom im Widerspruch, der in seiner ganzen Pracht geradezu katholisch zu sein scheint.“ Wie soll ich das als Katholik verstehen? Ist der Umgang mit Bildern im Hause Gottes an sich schon eine Sünde? In einer Moschee oder in einer Synagoge wird die Antwort völlig unmissverständlich gegeben. In einer christlichen Kirche ist es anders. Warum? Weil wir wie die bereits erwähnten Frauen die Lust am Bild nicht verloren haben. In allen Zeiten der Kirchengeschichte wurde das ganze Personal des Himmels und der Hölle tausendfach gezeigt. Der prickelnde Schauer, der uns dabei durchfährt, gehört zur Geschichte der profanen und sakralen Bildwelt.
Mit der Durchmischung dieser beiden Welten hatte und hat der Katholizismus weniger Schwierigkeiten als die strengen Formen der verschiedenen evangelischen Kirchen. Uwe Birnstein schreibt in seinem Buch Katholisch? Never! Warum Katholiken überflüssig und Evangelische die wahren Christen sind: „Dass muss man der katholischen Kirche wirklich lassen: Sie hat einen Sinn dafür, außerchristliche Elemente in den christlichen Glauben einzubinden und das so entstandene Mischmasch aus christlichen, philosophischen, magischen und esoterischen Elementen hochoffiziell mit dem Stempel der Rechtgläubigkeit zu versehen. Und wenn dass Volk sich nicht mit der jesuanischen Lehre begnügen mag, dann kommt die Kirche ihm eben mit allerlei Zugeständnissen entgegen.“ (Pattloch Verlag, München 2010, S. 33). Trotz mancher Plattheiten dieses Buches, erkenne ich erhebliche Vorteile in diesem Modell, dass letztlich ein inkarnatorisches Movens in sich birgt. Die kulturelle Überformung heidnischer Gesellschaften ist in der modernen Missionstheologie zwar umstritten. Die kulturellen Leistungen, die das Christentum hervorgebracht hat, sind dennoch beeindruckend – aller Selbstkasteiung zum Trotz .
Alexander Ochs setzt ganz dialektisch den Bildern im Dom eine Reihe von Bildern entgegen, die auf sehr originelle Weise dafür sorgen, dass wir uns von Gott kein Bildnis machen. Die Scherben einer Urne aus der Han Dynastie, für die Ai Weiwei vor 20 Jahren gesorgt hat, verfahren nach demselben Prinzip. Wir kritisiert man ein geschlossenes System für eine menschenverachtende Kulturrevolution? Man hält ihr die eigene Kultur vor Augen, indem man sie zerstört. Hier im Dom wird nichts wirklich zerstört, außer die Bildwelt. Es ist also ein vollkommen reformatorisches Ansinnen, dass hier umgesetzt wurde.
Es ist jetzt schon 66 Jahre her, dass der Roman „Nineteen Eighty-Four – 1984“ von George Orwell erschien. In der deutschen Übersetzung spielt er in Berlin Dahlem. Im Original ist der Schauplatz London. Orwell hat das Buch auf einer Insel der rauen schottischen Hebriden geschrieben. 1949 veröffentlichte er es, wenige Monate vor seinem Tod an Tuberkulose mit 46 Jahren. Orwell hat seit dem spanischen Bürgerkrieg immer wieder gegen jede Form von Totalitarismus geschrieben, u.a. in „Farm der Tiere“, ein Buch, das einige Jahre vorher, 1946 auf Deutsch erschienen war.
Der Held des Romans heißt Winston Smith. Er arbeitet im „Ministerium für Wahrheit“ und als Mitglied der Partei gehört er zu jenen 15% der Bevölkerung, die total überwacht werden. Seine Lebensbedingungen beschreibt Orwell so: „Ein Parteimitglied lebt von der Geburt bis zum Tod unter den Augen der Gedankenpolizei. Sogar wenn es allein ist, kann es nicht sicher sein, dass es wirklich allein ist. Wo es auch sein mag, ob es schläft oder wacht, arbeitet oder ausruht, im Bad oder im Bett liegt, es kann ohne Vorwarnung und ohne sein Wissen überwacht werden.“ Erklärtes Staatsziel ist es, eine neue Sprache einzuführen, die Geschichte ständig zu verfälschen, um schließlich jedem Bürger die freie Meinungsäußerung zu entziehen. Hier sind die Gedanken eben nicht frei wie es in einem alten Volkslied heißt, sondern sollen der totalen Kontrolle des Staates unterworfen werden. Es nimmt nicht Wunder, dass noch 1978 ein junger Theologe in der DDR zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er den Roman gelesen und an Bekannte weitergegeben hatte.
Was im Roman von Orwell Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts noch als ein irreales Zukunftsszenario eines in Indien geborenen englischen Autors abgetan werden kann, ist in unserer Zeit mittlerweile bittere Realität geworden. Jeder, der ein Smartphone hat, kann zu jeder Zeit überall geortet werden und googeln, dass sich die Balken biegen. Da erbleicht jeder Geheimdienst aus allen politischen Systemen. Wie der Staat mit unseren Daten umgeht, wissen wir durch den Whistleblower Edward Joseph Snowden. Wie wir mit den Bildern umgehen, wird davon abhängen wie wir uns dazu verhalten.
Beim ökumenischen Aschermittwoch der Künstler 2015 hat Bischof Dr. Markus Dröge dazu in der katholischen Gedenkkriche Maria Regina Martyrum formuliert:
„Ich wage eine kulturkritische These: Nicht nur jeder Einzelne unterliegt der Gefahr, dem Schein zu erliegen, zu bebildern, statt die Wirklichkeit transparent zu machen. Unsere gesamte Gesellschaft ist so bildertrunken, dass sie es kaum noch merkt, wie sie dem Bilder-Schein erlegen ist! Wir leben in einer bebilderten, ja in einer „überbilderten“ Gesellschaft. Was uns gut täte, wäre ein Aschermittwoch der Bilder für das gesamte gesellschaftliche Leben. Es muss nicht alles gezeigt werden, was gezeigt werden kann.“
An dieser Stelle verweist der Bischof auf jene Ausstellung im sogenannten MenschenMusem und merkt an: „Es ist peinlich, wenn Berlin sich eine solch blamable Visitenkarte gibt, wenn Tote mit solch durchsichtigen kommerziellen Motiven im Herzen unserer Stadt zur Schau gestellt werden. Das ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Und mit Kunst hat diese Show schon rein gar nichts zu tun. Einen Aschermittwoch der Bilder wünsche ich mir. Wir brauchen eine neue Sensibilität um zwischen billiger Schau und herausfordernder Kunst unterscheiden zu können.“
Für diese klaren Worte vonseiten des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz danke ich in aller Form. Der Bitte, als Jesuit im evangelischen neobarocken Dom zu Berlin heute zu sprechen, habe ich gerne entsprochen.
Herzlichen Dank dafür.
„Es muss nicht alles gezeigt werden, was gezeigt werden kann.“ Das könnte auch das Motto dieser famosen Ausstellungsreihe sein.
Pater Georg Maria Roers SJ
Kunst- und Kulturbeauftragter und Künstlerseelsorger der Erzdiözese Berlin
1) Als Beginn des Barock gilt allgemein der Bau der Jesuitenkirche Il Gesù in Rom(1568-76). Von dieser Keimzelle der Gesellschaft Jesu aus, der auch Sitz der Leitung unter Ignatius von Loyola (1491-1556) war, haben sich die Jesuiten über den gesamten Globus verbreitet. Oft waren sie Pioniere, wenn es darum ging, neue Missionen zu gründen. Ironie der Geschichte: der Berliner Dom (1894-1905) galt als machtvoller Ausdruck des Deutschen Kaiserreichs, während in dieser Zeit die Jesuiten im Deutschen Reich verboten waren. Das so genannte Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872 war Teil des Kulturkampfes. Die liberale Reichstagsmehrheit hatte damals den Entwurf des Bundesrates, der auf den damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck zurückging, noch verschärft. Kaiser Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen (1888-1918), ließ den barocken Vorgängerbau von Jan Bouman (1706 -76) abreißen. Er baute u.a. das Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin. Friedrich Wilhelm I. lernte Bouman auf einer Reise in die Niederlande kennen und holte ihn nach Potsdam. Dort baute er das Holländische Viertel, das Berliner Tor, die Friedrichskirche im Weberviertel und 1753 das Alte Rathaus. Sein letzter großer Auftrag war die Bauaufsicht der katholischen Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin nach dem Entwurf Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753) und Jean Laurent Legeay (1770–73). Der Niederländer Jan Bouman war also im Barock sowohl für den evangelischen Dom, als auch für die katholische Kathedrale verantwortlich. Den heutigen evangelischen Dom erbaute Julius Carl Raschdorff (1823-1914).
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